Erwähnungen
Favoriten von Ruth Beckermann eröffnet das Festival
Von Vitellone in Die Diagonale 2024 auf Moviebreak
am Donnerstag, 04 April 2024, 14:03 Uhr
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Für Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar war es die erste Bewährungsprobe: Die Eröffnung der Diagonale vor rund 1.100 Gästen. Während Hilde Dalik mit selbstironischem Humor durch den Abend führte und über die (fehlende) Beliebtheit heimischer Filmproduktionen witzelte, schlug das neue Leitungsduo einen ernsteren Ton an. Ihrer durchaus komplexen Rede merkte man den Hintergrund der beiden an. Ihr Filmverständnis ist vor allem ein theoretisches, ein Zugang, der vom Schreiben und Sprechen über Filme kommt. Mit Bezug auf den Avantgarde-Filmemacher James Benning sprachen sie über die Subjektivität des filmischen Eindrucks und finden das Relevante vor allem im Austausch über und in der Auseinandersetzung mit diesen persönlichen Erfahrungen beim Filmeschauen.
Gesellschaftspolitische Diskurse wurden dabei fein in den filmischen Kontext eingebettet. Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar plädierten für einen Pluralismus der Stimmen und Meinungen, betonten aber gleichzeitig, dass dieser Diskurs nur im demokratisch festgelegten Rahmen stattfinden kann. Die Devise lautet Widersprüche und andere Meinungen aushalten, sich ihnen stellen und nicht wegschauen. Das Gespräch, vielleicht auch den Konflikt, zu suchen und dadurch auch wieder näher zusammenzurücken. Dass Rassismus und Antisemitismus dabei keinen Platz haben, erwähnten sie explizit. Darüber hinaus betonten sie auch die Notwendigkeit des Kinos als öffentlichen Raum, in welchem Film zur kollektiven Erfahrung wird und wo genau diese Diskussionen stattfinden können.
Bevor anschließend die Bühne geräumt und Ruth Beckermann einige einleitende Worte zu ihrem neuesten Film sagen durfte, hatte Lukas Miko doppelten Grund zur Freude. Der Charakterdarsteller, der unter anderem für seine Rollen in Die beste aller Welten und 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls bekannt ist, erhielt den Großen Diagonale-Schauspielpreis und feierte am Donnerstag zusätzlich seinen 43. Geburtstag. Seine emotionale Rede, in der er auch seiner verstorbenen Mutter gedachte, sorgte im Publikum für großen Applaus und feuchte Augen.
Ebenfalls großen Applaus gab es für Ruth Beckermann und Ilkay Idiskut, die Lehrerin im Zentrum von Favoriten. Der Eröffnungsfilm, der nach dem 10. Wiener Gemeindebezirk benannt ist, dokumentiert den Alltag an einer Volks- bzw. Grundschule. Favoriten ist mit rund 200.000 Einwohner*innen der bevölkerungsreichste Stadtteil Wiens und gilt traditionell als Arbeiter- und damit auch Einwanderungsbezirk, der stark vom migrantischen Leben geprägt wird. Über drei Jahre haben Ruth Beckermann und ihr Team die 25 Schüler*innen begleitet, von denen niemand Deutsch als Muttersprache spricht. Eine gewaltige Aufgabe für die Klassenlehrerin Ilkay, die sich mit pädagogischem Herzblut gegen die Unmenschlichkeit der Institution Schule stellt.
Die Kritik am Bildungssystem schwingt allgegenwärtig mit, etwa wenn der Direktor der Schule verkündet, was es im kommenden Schuljahr alles nicht mehr geben wird, weil Personal und Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Trotz der ernsten Untertöne ist Favoriten schreiend komisch, ohne sich über die Kinder im Mittelpunkt lustig zu machen. Zunehmend bricht Ruth Beckermann die Form des Films auf und lässt die Schulkinder selbst zu Regisseur*innen werden. In kurzen Handyvideos dürfen und sollen sie sich selbst ausdrücken, ihren Blick auf die Welt teilen.
Favoriten rekurriert auch auf den Inhalt der Eröffnungsrede von Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar. Was manchen Besucher*innen zu Beginn des Abends noch eine Spur zu intellektualisiert erschien, wird mit diesem Dokumentarfilm eindrucksvoll in die Praxis überführt. Eine Offenheit der filmischen Form, eine Offenheit der Perspektiven, eine Einladung zum Diskurs. Über das Gesehene kann und muss gesprochen werden, weil eine Ambivalenz in den Bildern liegt, der man sich nur auf dieser Art und Weise stellen kann.
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