Erwähnungen
Interview mit Mohammad Rasoulof, Preisträger des Locarno City of Peace Award
Von Lidanoir in Interview mit Mohammad Rasoulof, Preisträger des Locarno City of Peace Award
am Freitag, 15 August 2025, 10:18 Uhr
- 1
- 0
Mit seinen regimekritischen Filmen, die unbeirrt die politischen und ideologischen Misstände in seinem Heimatland aufzeigen, hat sich Mohammad Rasoulof zur bedeutendsten Stimme des iranischen Gegenwartskinos entwickelt. Seine riskante Flucht im vergangenen Jahr endete glücklich mit einer umjubelten Ankunft in Cannes, wo sein Wettbewerbsbeitrag The Seed of the Sacred Fig den Special Jury Prize erhielt. Für seinen unerschütterlichen Einsatz für künstlerische Freiheit und Menschenrechte wurde der Regisseur nun auf dem Locarno Film Festival mit dem Locarno City of Peace Award geehrt. Vor Ort in Locarno sprach der Regisseur mit Lidanoir von unterschiedlichen Arten Gefängnissen, seinem filmischen Schaffen im Exil und der Verantwortung Kunstschaffender in Zeiten politischer Unterdrückung.
Lida Bach: Jetzt, wo du den Iran verlassen hast, fühlst du dich im Exil?
Mohammad Rasoulof: Ich denke, für mich ist es eine Wahl zwischen zwei verschiedenen Arten von Gefängnissen. Ich kann entweder im Iran sein mit vielen Einschränkungen und weniger Sicherheit, oder hier im Westen mit mehr Sicherheit, aber immer noch einigen Einschränkungen. Ich denke, Freiheit ist ein kollektives Konzept. So habe ich hier zwar eine Reihe individueller Freiheiten, aber ich habe das Gefühl, dass mir die kollektive Freiheit fehlt, die mich wirklich glücklich machen würde. All die kleinen täglichen Vorkommnisse katapultieren mich ständig zurück in den Iran. Allein dieses Glas Wasser erinnert mich daran, dass die Menschen im Iran zur Zeit keinen Zugang zu Trinkwasser haben, aufgrund der Nachlässigkeit des Regimes.
LB: Denkst du manchmal daran, in naher Zukunft in den Iran zurückzukehren?
MR: Oh, daran denke ich immer. Ich dachte daran, in den Iran zurückzukehren, während ich den Iran verließ. Buchstäblich, an der Grenze in den Bergen, schaute ich zurück in Richtung Iran und dachte daran, zurückzukehren. Für mich hängt das mit der Bedeutung von Widerstand zusammen. Als ich im Gefängnis im Iran war, dachte ich ständig darüber nach, ob Widerstand für mich bedeutete, im Iran zu bleiben und ein Filmemacher im Gefängnis zu sein, der daher nicht arbeiten kann, oder ob es bedeutete, den Iran zu verlassen und im Exil weiterzuarbeiten. Beides sind Formen des Widerstands, doch das ist für mich weiterhin eine offene Frage, über die ich derzeit nachdenke.
LB: Du hast von zwei Arten an Einschränkungen gesprochen? Erlebst du hier im Westen bestimmte Einschränkungen?
MR: Was ich im Moment erlebe, ist, dass ich physisch in Europa bin, aber mental im Iran. Ich wollte meine innere Beziehung zum Iran nicht abbrechen. Deshalb bin ich mental immer noch dort. Die Einschränkungen, die ich erlebe, haben damit zu tun, dass ich Filme in meinem Land, in meiner Sprache, über mein Volk machen möchte, aber da ich hier bin, kann ich dies nicht.
LB: Wirst du also weiterhin an anderen Orten Geschichten drehen, die in der iranischen Gesellschaft spielen und sich mit den Problemen der iranischen Gesellschaft befassen, oder Filme über soziale Themen europäischer oder anderer Länder zu drehen?
MR: Mein Stil des Filmemachens hat sehr viel mit meinen eigenen persönlichen Erfahrungen zu tun. Auch wenn es sehr schön wäre, etwas völlig anderes zu machen, vielleicht sogar thematisch, denke ich nicht, dass ich gerade jetzt radikale Veränderungen anstreben möchte. Denn meine oberste Priorität ist Freiheit. Nicht meine eigene individuelle Freiheit, sondern die kollektive Freiheit, die Freiheit meines Volkes. Das Gefühl des kollektiven Glücks, das meiner Meinung nach die Errungenschaften größerer Freiheit mit sich bringen würden.
So sehr ich mir wünschen würde, radikal die Richtung zu ändern und vielleicht einen Film zu machen, der nichts mit dem Iran zu tun hat, fühle ich mich gezwungen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Ich habe gerade drei Drehbücher herumliegen. Ich weiß, dass jeder dieser Filme wirklich gut und sehr mitreißend sein könnte, aber ich denke, dass Freiheit im Moment wichtiger ist.
LB: Berichtest du uns mehr über die Flucht aus dem Iran?
MR: Wenn man an das Gefängnis denkt, kann man an die negativen Aspekte denken, aber man kann auch an die positiven Aspekte denken: etwa die interessanten Menschen, die man trifft, die immer in meinem Gedächtnis geblieben sind. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass ich, falls ich jemals heimlich den Iran verlassen müsste, ein paar Leute anrufen und um Hilfe bitten könnte. Als ich feststellte, dass ich eine lange Haftstrafe zu erwarten hatte und dass ich, wenn ich ins Gefängnis käme, meinen letzten Film, The Seed of the Sacred Fig, nicht beenden könnte. Ich entschied, dass ich den Iran verlassen musste, weil es der einzige Weg war, um erstens den Film zu beenden, aber auch um weiterzuarbeiten. An diesem Punkt beschloss ich, jemanden anzurufen, der mir von meinen Kumpels im Gefängnis vorgestellt worden war.
Dank ihnen konnte ich Iran zu Fuß verlassen, auf einer sehr langen Reise zu Fuß. Ich möchte keine weiteren Details geben, zum Teil, weil ich nicht über bestimmte Personen sprechen möchte, aber auch weil es ziemlich traumatisch ist, das noch einmal durchzumachen. Aber selbst als ich den Iran verließ, dachte ich immer daran, zurückzukehren. Ich habe eine sehr tiefe Verbindung zu meinem Land. Alle paar Tage hielt ich an, versteckte mich und stellte eine Internetverbindung her, um weiter an der Postproduktion von The Seed of the Sacred Fig mit meinen Kollegen zu arbeiten. Ich war so mit dem beschäftigt, dass es etwas schwierig war, wirklich den Überblick über die Reise selbst zu behalten; über die Geografie, das, was um mich herum geschah.
LB: Hast du die Post-Production des Films während der Flucht gemacht?
MR: Ja, ich war ständig mit meinen Kollegen in Kontakt, wann immer ich die Möglichkeit dazu hatte. Selbstverständlich mit sicheren Internet-Verbindungen, die mir keine Probleme mit den Behörden bereiteten. Und ich war an Orten, bei denen niemand je darauf gekommen wäre, dass ich dort war. Besonders nachdem ich die Grenze zum Nachbarland überschritten hatte. Wir hatten zum Beispiel keinen Komponisten, um die Musik für The Seed of the Sacred Fig zu machen. Ich war auf der Suche nach einem Musikkomponisten. Und wir hatten nur noch zwei Wochen Zeit.
Weil der Film in Cannes Premiere feiern sollte. Das DCP-Labor setzte uns ständig unter Druck: Wir wollen den Film haben! Wir wollen den Print! Wir waren allerdings noch nicht bereit, den rauszugeben, da wir wussten, dass Musik in vielen Szenen einen sehr starken Einfluss haben könnte. Weil ich so eingebunden und mit dem Film beschäftigt war, hat mich das in gewisser Weise vor einem Teil des Schmerzes und den Erfahrungen der Exilreise bewahrt. Ich war gedanklich woanders.
LB: Wir haben in Cannes damals alle auf dich gewartet! Du sagtest, du hast drei Drehbücher, die zu Filmen entwickelt werden können. Handeln die von der iranischen oder europäischen Gesellschaft?
MR: Das Tolle an diesen drei Skripten ist, dass sie das Potenzial zu beidem haben. Sie sprechen kollektiven Schmerz, gemeinsame Trauer an. Ich bin sehr an jedem von ihnen interessiert. Sobald ich es schaffe, zu vergessen, was im Iran passiert, werden diese Projekte Priorität haben.
Ich bin richtig begeistert und muss trotzdem entscheiden, mit welchem ich anfange. Dann sage ich mir, sieh mal, die Dinge im Iran haben sich nicht so schnell bewegt, dass du unbedingt dort sein müsstest, um zu erleben, was sich verändert hat. Natürlich ist es hier in Europa möglich, Filme über universellere Themen zu machen, aber das ist nicht meine Hauptsorge. Ich möchte der sein, der ich sein muss.
Und ich entdecke, wer diese Person ist. Ich brauche Zeit. Es mangelt mir nicht an Möglichkeiten im Bereich des Filmemachens, aber ich möchte mich nicht in eine davon stürzen, nur weil die Gelegenheit da ist.
LB: Jetzt, wo du in Europa lebst, machst du dir Sorgen über die rechte Bewegung in Europa, besonders in Deutschland, wo die neofaschistische Partei die stärkste politische Kraft ist und die nächste Wahl tatsächlich gewinnen könnte?
MR: Oh, selbstverständlich. Es ist mir ein Anliegen, und mein Herz bricht, wenn ich an die Menschen denke, die von einem solchen Ereignis betroffen sein könnten. Auch wenn es möglicherweise keinen direkten Einfluss auf mein eigenes Leben hat. Aber ich bin auf jeden Fall besorgt, keine Filme über Dinge zu machen, die ich nicht wirklich kenne. Als Filmemacher musst du das Thema, an dem du arbeiten möchtest, wirklich sehr gut kennen. In solchen Fällen musst du wirklich tief in ein bestimmtes Thema eintauchen. Andere Filmemacher können diese Arbeit brillant machen, weil sie in dieser Welt aufgewachsen sind.
Es wäre dumm meinerseits, jetzt einen Film über ein solches Thema zu machen, mit meinem sehr begrenzten Bewusstsein und meiner Erfahrung damit. Wenn ich stattdessen einen Film, zum Beispiel über die Rechte in Deutschland im Moment, machen würde, bräuchte ich viel Zeit, um mich wirklich damit auseinanderzusetzen. Bis ich sagen könnte, dass ich mit all diesen gesammelten Erfahrungen wirklich über diese Themen sprechen kann. Dennoch bin ich sehr neugierig darauf, die Arbeiten starker und mutiger Filmschaffender zu diesem überaus wichtigen Thema zu sehen.
LB: Vor zwei Monaten gab es einen Angriff auf den Iran von den USA und Israel. Was empfindest du dazu? Was denkst du, könnte ein Lösungsansatz sein?
MR: Es war eine sehr schwierige Erfahrung. Besonders weil ich mit den drei jungen Schauspielerinnen von The Seed of the Sacred Fig an einem Stück arbeitete, um eine Reihe von bürokratischen Problemen zu lösen, mit denen sie in Deutschland konfrontiert waren, haben wir diese Theaterproduktion gemacht. Der Angriff auf den Iran begann etwa eine Woche bevor wir das Stück uraufführten, auf dem Höhepunkt des Proben-Prozesses. Es war schrecklich. Ich glaube nicht, dass ich es gerade beschreiben kann.
LB: Siehst du eine Lösung für die Situation im Nahen Osten oder im Iran?
MR: Was ich sagen kann, ist, alle Veränderungen im Iran müssen durch das iranische Volk geschehen. Es müssen die iranischen Menschen sein, die den Wandel herbeiführen. Ich bin sicher, es ist bekannt, dass die iranische Zivilgesellschaft viele Jahre hart daran gearbeitet hat, einen Kriegszustand und diese Art von Gewalt zu vermeiden. Natürlich war dieser Angriff nicht nur eine Attacke, die dem Islamischen Regime schadete. Es war ein Angriff auf die iranische Zivilgesellschaft. Ein Angriff, der für die iranische Zivilgesellschaft äußerst schädlich war. Die einzige Lösung ist, dass das iranische Volk den historischen Moment erreicht, in dem es seine politischen Forderungen verwirklichen kann.
Niemand weiß im Moment, welcher der vielen politischen Oppositionsspieler das Volk Irans vertreten kann. Als Künstler kann ich nur beobachten, erleben, all diesen Schmerz sehen und darüber nachdenken. Das Gefühl der Ohnmacht, das wir alle haben, nicht nur in Bezug auf den Iran, sondern auch auf Gaza und sogar die Menschen in Israel.
Der Sinn der Politik und all dieser Machtstrukturen, die Völker spalten … Keine Antwort zu wissen, nur all dies zu bedenken. Wer weiß, was eine Lösung sein könnte? Was viele von uns wissen, ist, dass wir einfach in Frieden leben wollen, und freundlich zueinander sein wollen. Wie? Ich weiß es nicht. Wer kann das wissen?
LB: Vielen Dank für dieses Interview!
Wird geladen...

