Erwähnungen
Jean-Pierre Melville: 100th Anniversary Edition - Kritik - Teil 1
Von Vitellone in Jean-Pierre Melville - 100th Anniversary Edition - Kritik
am Sonntag, 10 Dezember 2017, 15:52 Uhr
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Einleitung
Jean-Pierre Melvilles beeindruckendes Oeuvre ist geprägt von Verbrechen und Betrug, Arbeit und Alltag, Freundschaft und der Stadt als Handlungsort. Seine Filme sind dunkel und konfus, folgen ihrer eigenen Moral und erzählen schicksalshafte Geschichten. Er prägte so nachhaltig den französischen Film – er wird als Vorreiter der Nouvelle Vague gehandelt – und wurde zu einer internationalen Größe. Mit Sonnenbrille und Hut passte er sein Erscheinungsbild den Figuren seiner Filme an. Sein prägender Stil ist bis heute relevant, ebenso wie seine Filme, zu denen nicht nur ein Meisterwerk gehört.
Die Filme
Das Schweigen des Meeres nimmt sein Dasein als Literaturverfilmung äußerst ernst und agiert nicht nur weitestgehend werkgetreu, sondern nähert sich diesem formal auch auf interessante Weiße an. Gerade zu Beginn erzeugt Melville Bilder, die in ihrer Statik, Ruhe und Detailvielfalt an jene Abbilder erinnern, die sich auch während des Lesens in unseren Köpfen manifestieren. Mit zunehmender Laufzeit verfällt der Film jedoch in eine aufdringliche Monologlastigkeit, die das Potential des Mediums nur sehr bedingt ausnutzt.
Bei zunehmender Laufzeit wird deutlich, dass die titelgebenden Kinder keinesfalls so schrecklich sind, wie es der selbige suggeriert. Ihr rebellisches Verhalten, die andauernde Provokation und jegliche Form von Böswilligkeit ist letztlich nur ein stummer Schrei nach Liebe. Bereits in jungen Jahren vernachlässigt, weitestgehend auf sich selbst gestellt und in ebenso destruktiver wie essentieller Wechselwirkung zueinander, haben Paul und Elisabeth schon in ihrer Kindheit eine krankhafte Persönlichkeit entwickelt. Die schrecklichen Kinder ist ein poetisches Abbild der psychologischen Folgen von elterliche Vernachlässigung und fehlender Hingabe. Sensibel erdacht von Cocteau und zunehmend radikaler auf die Leinwand gebannt von Melville, kulminieren zwei divergente Ansätze zu einem beinahe rauschhaften Abbild (zwischen)menschlichen Verhaltens.
Schon der Ausgangspunkt des Films strotzt vor überbordender Dramatik. Ein Autounfall reißt eine Familie entzwei, während die Eltern sterben, bleiben zwei Töchter zurück. Die jüngere der beiden ist Verkäuferin, noch dazu minderjährig, während die ältere ihren eingeschlagenen Lebensweg als Nonne aufgibt, um sich der kleinen Schwester anzunehmen. Später wird das klassische Figurenkabinett, welches wenig kreativ in einem Liebesdreieck mündet, durch einen arroganten Taugenichts und Weiberheld ergänzt, der in einer merklich ausgewölbten Nebenhandlung als Verführer, Dieb und Egoist eingeführt wird. Den fehlenden Sympathien gegenüber allen Figuren zum Trotz, muss man den weitestgehend unbekannten Darstellern Tribut für ihre aufopferungsvollen und thematisch homogenen Darbietungen zollen. Erstaunlicherweise schaffen diese es sogar ihre Figuren ernst zu nehmen, was man vom Film selbst in letzter Konsequenz nicht behaupten kann.
Bob, wunderbar blond und stechend gespielt von Roger Duchesne, der in der nächtlichen Stunde der Dämonen von Spieltisch zu Spieltisch zieht, und dabei seine graubunte Vergangenheit im Konflikt mit dem Gesetz und seinen klaren Wertekodex hinter sich herzieht. Ein Kodex, der nur etwas wer ist, wenn er bedingungslos auf alle Menschen angewandt wird, auf die Bob trifft. Auf die Feinde, auf die Freunde, auf die Unbekannten. Bob versucht so über die erste halbe Stunde des Films, seine Nase hübsch aus den kriminellen Angelegenheiten anderer herauszuhalten. Bis auch ihm das große Geld winken könnte, und der Reiz für den berühmt-berüchtigten letzten Coup einfach zu groß wird. Hier verschiebt sich das Gefüge in ihm und um ihn herum. Er wird aktiv, wandert nicht nur durch die Straßen, er geht seinem Ziel nach und zieht damit immer mehr Menschen um sich herum mit in seinen Kosmos aus Gier und Kriminalität. Ein Strudel, in dem er sich selbst zu verlieren droht, in dem er seiner Sucht zu erliegen droht. Opfer seiner dunklen Seite wird und dort verweilt, wo alles im Nichts verschwimmt. Diese Zeit zwischen Tag und Nacht, wo gebrochene Versprechen das Leben kosten können.
Da überrascht es auch nicht sonderlich, dass die endgültige Auflösung des Falls gegen Ende in den Hintergrund rückt und in erster Linie als Katalysator im Konflikt der beiden Protagonisten fungiert. Auch wenn der Film sein bis dahin sehr zielstrebiges Narrativ dadurch verrät, ist jener Bruch doch der einzige Moment des Films, in dem Emotion und Tragik wirklich greifbar wird. Was zuvor noch sehr ruhig vonstattenging, wirkt nun beinahe überhastet. Und auch wenn die grobkörnigen schwarz-weiß Bilder einen Hauch zu klassisch eingefangen wurden, so lockert immerhin der amüsante Wortwitz die Stimmung gelegentlich auf. Gerade der Unterschied zwischen Französisch, Englisch und vereinzelt auch anderen Sprachen sorgt für amüsante Momente. Letztlich ist Zwei Männer in Manhattan wohl keinesfalls ein herausstechender Beitrag in Melvilles Vita, vereinzelt lassen Szenen jedoch auf sein Genie schließen.
In kontrastreichen Low-Key-Fotografien handelt Jean-Pierre Melville die (Streit-)Frage aus, ob es notwendig ist, einen Weg zu Gott zu finden. Ausgerechnet der charmante, in seiner Verbindung zu Gott gnadenlos beständige Geistliche Morin erklärt der leicht strauchelnden Barny, dass man Gott nicht erreden kann – und Gott somit auch nicht mittelbar ist. Und sollte man nicht zu ihm finden, so ist das auch in Ordnung. Was im Leben jedoch vonnöten bleibt, ist der Glaube an irgendwas. Und ist er nur der Glaube an seine eigene Existenz. Zwischen stillem Verlangen und philosophischen Zwiegesprächen findet Jean-Pierre Melville in den tadellos gespielten Dialogsequenzen zwischen Riva und Belmondo jene geerdete, greifbare Balance, die Eva und der Priester zu mehr macht, als „nur“ einem an vielschichtigen Diskursen interessierten Frühwerk im Output einer späteren Regiegröße.
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