In Alitas (brillant per Motion Capture dargestellt von Rosa Salazar, Bird Box) großen Augen spiegelt sich eine Welt, die wir gemeinsam mit ihren forschenden Blicken kennenlernen. Mit ihr lernen wir über die Lauflänge hinweg, wie diese eigenartig dystopische Welt funktioniert, was wirklich hinter den Menschen steckt, die in ihr Leben treten und was sich hinter ihrem künstlichen Körper verbirgt. Als Zuschauer lernt man hier nie aus, entdeckt in jeder Szene ein neues Detail, das zunächst rätselhaft erscheint und dann wenig später wieder aufgegriffen und erklärt wird. Einige Fragen bleiben offen und wir können uns bis zum Ende kein komplettes Bild von dieser Welt machen, können uns ihr aber annähern und die Stimmung fassen, die sie umgibt. Ähnlich geht es uns mit Alita, der wir weder als gänzlich physische noch als komplett animierte Figur begegnen. Dieser von manchen zu unrecht kritisierte entfremdende Effekt, erzeugt eine Stimmung für die Entmenschlichung, die die Anwohner von Iron City ertragen müssen: Hier werden Körperteile abgesägt, ersetzt und mit ihnen Handel betrieben. Ein Körper scheint nicht mehr wert zu sein als ein Werkzeug oder Maschinenteil, ein reines Mittel zum Zweck.
Damit liegt der Film nah an unserer Zeit, in der nicht nur Handarbeit und menschliche Arbeit gering geschätzt werden, sondern der Körper selbst zum Objekt wird. Nicht umsonst wird an jeder Ecke propagiert, dass man sich selbst optimieren soll (Fitnesswahn) und ein unverhältnismäßiger Gesundheitswahn (ein Blick auf die Zigarettenpackung spricht Bände) vorangetrieben. Die körperliche Gesundheit dient nicht mehr der Lebensqualität, die Lebensqualität unterliegt der Gesundheit. Gleichzeitig soll der Körper eine makellose Oberfläche bilden, die dann in Bildern auf sozialen Netzwerken ausgestellt werden kann. Das Individuum entfremdet sich seines eigenen Körpers und betrachtet ihn als Produkt seiner Leistungen. Da ist es nur konsequent, dass wir im 26. Jahrhundert, wo die Ereignisse aus Alita – Battle Angel stattfinden, mit Körperteilen handeln und sie austauschen wie Maschinenteile. Robert Rodriguez (Sin City) führt uns auf ambivalente Art die Konsequenzen eines solchen Körperbewusstseins vor: Auf der einen Seite erfahren wir wie einfach Leben gerettet werden können, indem ein neuer Körper geschaffen wird, auf der anderen Seite beobachten wir gestörte Selbstwahrnehmungen der Charaktere, die sich teilweise alleine über ihre maschinellen Fähigkeiten definieren oder penibel auf an sich selbst übrig gebliebene Körperteile achten.
Im Zentrum dieser zu Maschinen gewordenen Menschen stehen die sogenannten Hunter Killer, die nach dem großen Krieg die Rolle der Polizei eingenommen haben. Auch hier findet sich ein cleverer Verweis auf den politischen Trend zunehmender Privatisierungen. Alita – Battle Angel treibt das auf die Spitze und zeigt einen Staatsapparat, der selbst allmählich privatisiert wird. So scheint die einzige Exekutive in den Hunter Killern zu bestehen, die beauftragt werden, Kriminelle zu ermorden. Rodriguez zeigt wunderbar, dass damit der Weg in die Korruption geebnet ist. Generell scheint kein Bewusstsein für Staat und Gesellschaft zu herrschen, Iron City ist ein Ort, an dem sich jeder selbst der nächste ist. Als Antrieb für Korruption, Kopfgeld und den Diebstahl von Körperteilen dient die versprochene Perspektive des Aufstiegs. Über Iron City, das in prekären Zuständen zu ertrinken scheint, schwebt mit Salem eine weitere Stadt, die der Oberschicht vorbehalten ist. Was sich zu Beginn andeutet wird noch deutlicher, wenn sich ein weiterer Untergrund auftut: Skizziert wird eine Klassengesellschaft, die im Traum vom Aufstieg ihren Antrieb findet. Dieser Aufstieg findet nur leider nie statt oder wenn dann nur repräsentativ für eine Person.
Diese zeitaktuellen Ausführungen sind eingebettet in eine zurückhaltend erzählte Coming-of-Age- Story, die durch die Hintergrundgeschichten der Vaterfigur Dr. Dyson (Christoph Waltz, The Zero Theorem) und Alita selbst, sowie der sie umgebenden Welt eine ebenso entfremdete Wirkung mit sich bringt: In Iron City ist keine normale Jugend möglich. In dieser armen und dennoch technologisierten Stadt findet Rodriguez zwischen Maschinenteilen, Traumata und Gewalt die Scherben der Menschlichkeit, die Alita verzweifelt versucht zu einem Bild zu puzzeln. Entstanden ist ein melancholisches Werk, das für eine große Hollywood-Produktion gerade im Abschluss erstaunlich mutig ist, von facettenreichen Hauptcharakteren erzählt, die sich sehnsüchtig an jede Form von Hoffnung klammern und sich selbst aber immer wieder verlieren müssen. Eindrucksvoll inszenierte Kampfszenen werden durchdrungen von dem Emanzipationsprozess der Protagonistin und ihrer sich auftuenden Romanze, die bewegend und intensiv daherkommt. Alita: Battle Angel ist intelligent, tragisch, mitreißend und nicht zuletzt auch schön anzusehen. Solche Filme sollte die Academy berücktsichtigen, denn da macht Hollywood, was Hollywood kann.