Erwähnungen
Quentin Tarantinos "Cinema Speculation" - Buch - Kritik
Von Tiger in Quentin Tarantinos "Cinema Speculation" - Buch - Kritik
am Mittwoch, 21 Dezember 2022, 12:39 Uhr
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Inhalt
Cinema Speculation dreht sich überwiegend um die wichtigsten amerikanischen Filme der 1970er Jahre, die Quentin Tarantino alle zum ersten Mal als junger Kinobesucher in L.A. gesehen hat und die ihn alle auf unterschiedliche Art beeinflusst haben. Tarantino rezensiert die einzelnen Filme, liefert viele Hintergrundinformationen und erzählt persönliche Geschichten, die er mit diesen Filmen verbindet.
Kritik
Als Quentin Tarantino noch in der Videothek Video Archives in Manhattan Beach arbeitete und den anderen Angestellten von den Filmen erzählte, die er drehen wollte, war die Antwort jedes Mal: "Quentin, das lassen sie dich niemals machen.“ Worauf Tarantino erwiderte: „Warum sollten sie mich daran hindern können. Sie können sich ins Knie ficken.“
Man kann von Tarantino und seinen Filmen halten, was man möchte, doch trotzdem bewundert man ihn für seine Kompromisslosigkeit und seine Leidenschaft. Wie genau es dazu kam, dass er eine solche Leidenschaft und Liebe für Filme entwickelte, erzählt er in seinem neuesten Buch Cinema Speculation. Alles fing damit an, wie Quentin als kleiner Junge das große Glück hatte von seiner Mutter ins Kino mitgenommen zu werden, doch nicht nur das, er durfte sich sogar Filme für Erwachsene ansehen. Als er seine Mutter fragte, warum er Filme sehen durfte, die andere Kinder nicht sehen durften, antwortete seine Mutter: „Quentin, mir macht es mehr Sorgen, wenn du die Nachrichten schaust. Ein Film wird dir nicht wehtun.“ Genau diese offene Art seiner Mutter in dem Umgang mit den Filmen, machte aus Tarantino nicht nur einen großen Filmnerd, sondern auch einen der größten Regisseure der Gegenwart.
Wäre seine Mutter damals anders gewesen und hätte den kleinen Quentin vor den expliziten Gewaltdarstellungen und anderen "Erwachsenen-Kram" schützen wollen, wäre aus ihm wahrscheinlich nie einer der furchtlosesten Regisseure aller Zeiten geworden. Er hat sich dem Kino stets ohne Furcht vor dem Endergebnis genähert. „Diese Furchtlosigkeit ist für mich etwas Natürliches – ich meine, was soll's, es ist doch bloß ein Film.“
„Die schärfste Form der Zensur ist die Selbstzensur und sie entsteht auch nicht immer auf Seiten des großen bösen Studios. Viele Filmemacher verwässern ihre Vision von Anfang an.“
Zum Glück ließ sich Tarantino nie von jemandem aufhalten, seine Visionen zu verwirklichen. In Cinema Speculation erzählt Tarantino, welche Filme ihn in seinem kreativen Schaffen beeinflusst haben und schwärmt von den unterschiedlichen Kinos, in denen er diese Filme gesehen hatte. Er schaute sich mit großer Begeisterung als einziges Kind im Saal voller Erwachsener die Erwachsenenfilme an und beobachtete genau, an welchen Stellen im Publikum die Lacher kamen. Tarantino hat als achtjähriges Kind bereits angefangen, jeden Film, den er sehen konnte, wie ein Schwamm aufzusaugen und dank des Kinopublikums sog er auch gleichzeitig die Reaktionen der Zuschauer auf bestimmte Szenen auf. Es war für ihn, wie eine Charakterstudie der Filme und ihrer Zuschauer. Quentin teilt in diesem Buch seine Reaktionen auf einige Filme, und zwar mit einer detailreichen Ausführlichkeit.
Bevor man jedoch mit der Lektüre beginnt, sollte man sich dessen bewusst sein, dass Tarantino gnadenlos den Ausgang der Filme spoilert, über die er schreibt. Es macht deswegen viel mehr Spaß über die Filme zu lesen, die man schon kennt und wenn man die Filme noch nicht kennt, sie aber noch auf der Must-see-Liste stehen, empfiehlt es sich entweder die Kapitel erst nach der Sichtung der Filme zu lesen, oder die Augen an das selektive Lesen zu gewöhnen und sobald ein Spoiler im Anmarsch zu sein scheint, einfach nur gedanklich „La,la, la“ zu rufen und zu hoffen, dass man mit seinen Augen nicht ausgerechnet das Ende des Films erwischt. Wenn man jedoch kein großer Filmnerd ist und sich zu hundert Prozent sicher ist, dass man die Filme, über die Tarantino schreibt, nicht sehen will, kann man sich entspannt zurücklehnen und eine 394 Seiten lange Filmkritik lesen, die mit Tarantinos persönlichen Geschichten und Bezügen zu den Filmen angereichert ist. Tarantino richtet sich sogar direkt an seine Leser, weil er Verständnis für eventuelle Überforderung zeigt: „Wenn ihr also dieses Filmbuch hier lest, um hoffentlich ein paar Kleinigkeiten über Filme zu erfahren und euch der Kopf schwirrt vor lauter unbekannter Namen: Glückwunsch, ihr seid dabei, was zu lernen."
Welche Filme sollte man sich lieber vorher angesehen haben, um Tarantinos Beschreibungen besser zu verstehen? Bullit, Dirty Harry, Deliverance, The Getaway, The Outfit, Taxi Driver, Rolling Thunder, Paradise Alley, Escape from Alcatraz, Hardcore und The Funhouse (Dt. Das Kabinett des Schreckens) sind wohl, die Filme, die am ausführlichsten besprochen werden. Bullit hat es Tarantino wirklich angetan, denn so gut wie alle entscheidenden Szenen des Films werden beleuchtet. Bei den Beschreibungen zu Siegels Dirty Harry kommt die Faszination für filmische Gewalt durch. Bei The Getaway offenbart Tarantino, wie die Besetzung für die Rollen geschah und, was hinter den Kulissen zwischen dem Regisseur und den Schauspielern passierte. Manchmal zitiert Tarantino auch aus den Kritiken der Journalisten aus der New York Times oder Washington Post und berichtet über seinen Erzfeind unter den Filmkritikern, der die meisten seiner Filme schlecht besprochen hatte. Es verwundert, dass eine Größe wie Tarantino sich für Filmkritiken irgendeines Filmkritikers interessiert, aber er tut es wirklich.
Tarantino scheint nicht nur ein Faible für Filme, sondern auch ein Faible für Filmkritiken entwickelt zu haben und er fand sogar in Kevin Thomas seinen Lieblingsfilmkritiker. Wenn man Cinema Speculation liest, könnte man glauben, dass Tarantino selbst vom Beruf Filmkritiker ist und Rolling Thunder war der Film, der ihm erlaubte, Kritiker zu sein. Es war für ihn das erste Mal, dass er einen Film analysierte. Für Tarantino ist Rolling Thunder die beste Kombination aus Charakterstudie und Actionfilm, die je gedreht wurde. Da bekommt man natürlich sofort Lust, sich den Film anzusehen, wenn man ihn noch nicht kennt. Tarantino rezensiert die Filme nicht nur, sondern spekuliert darüber, was wäre wenn. Was wäre zum Beispiel, wenn De Palma und nicht Scorsese Taxi Driver gedreht hätte?
Alle Fragen, die Tarantino sich stellt und alle Facetten der Filme, die er erörtert, lassen darauf schließen, dass hier ein Meister am Werk ist. Ein Meister, der in die Filme und ihr Universum verliebt ist, und zwar mit allem, was dazu gehört. Mit ihren Figuren, mit ihren Schauspielern, mit den Regisseuren und mit ihren Zuschauern, die in einem überfüllten Kinosaal Seite an Seite mit Tarantino lachen oder die Figuren des Films voller Wut und Verachtung anschreien. Wenn man Filme und die Welt des Kinos liebt, dann kommt man an diesem Buch nicht vorbei, es ist quasi eine Pflichtlektüre für alle Filmnerds, die jeden Morgen mit dem Gedanken an Filme aufstehen und jeden Abend mit den gleichen Gedanken ins Bett gehen, weil es ihr Leben ist, genauso, wie es Tarantinos Leben ist. Es ist eine fiktive Welt, aber sie ist so real und faszinierend, wie eine echte Welt niemals sein könnte und wenn man sich von jemandem die Sicht auf diese Welt zeigen lassen möchte, dann unbedingt von Tarantino, weil er mit jeder Faser seines Körpers für Filme lebt.
Fazit
"Cinema Speculation" ist nicht nur ein Muss für jeden Tarantino-Fan, sondern sogar ein Muss für jeden Film-Fan. Quentin Tarantino ist nicht nur einer der erfolgreichsten Filmemacher aller Zeiten, sondern auch ein sehr guter Filmkritiker, der mit diesem Buch eindrucksvoll sein offizielles Filmkritiker-Debüt feiert. Auch wenn man nicht alle Filme kennt, die Tarantino in größter Ausführlichkeit beschreibt, sieht man sie gerade dank seiner Beschreibungen vor seinem geistigen Auge und spürt die besondere Verbindung, die Tarantino zu jedem einzelnen von diesen Filmen hat. Man kann dieses Buch, wirklich jedem ans Herz legen, der die Filme und das Kino genauso liebt wie Tarantino. Dabei erfährt man nicht nur einiges über die ausgewählten Filme, sondern auch einiges über den Autor selbst, der dank seiner zahlreichen Kinobesuche bereits als Kind ein umfangreiches „Filmstudium“ absolvierte.
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