Auftakt im mit Abstand kleinsten, aber dafür wohl schönsten, der vier Säle, in denen an diesem Abend der Eröffnungsfilm der Viennale gezeigt wird. Der historische Saal des Metro Kinokulturhauses ist mit Menschen gefüllt, als kurz nach 21:00 Uhr Eva Sangiorgi als künstlerische Leitung und Christian Petzold in seiner Doppelfunktion als Präsident und Regisseur des Eröffnungsfilms die Bühne betreten. Es sind nicht viele Worte, die sie ans Publikum richten und doch zählt die Geste, überhaupt da zu sein. Schließlich standen die beiden eine halbe Stunde vorher noch auf der Bühne des Stadtkinos und wiederum zwei Stunden zuvor bei der offiziellen Eröffnungsgala im Gartenbaukino – dort mit ausführlicheren Reden. Insofern ist es alles andere als selbstverständlich, dass die mit gefragtesten Personen des Abends die Tour durch die Festivalkinos antreten, bevor es danach wieder zurück zur Eröffnungsfeier geht. Es ist jedoch auch ein Zeichen ans Publikum: Wir sind da, wir lassen euch nicht alleine mit den Filmen, sondern sind mittendrin im Festivalgeschehen.
Wird Christian Petzold als Präsident jetzt jede Viennale eröffnen? Oder zumindest alle zwei bis drei Jahre, immer dann also, wenn ein neuer Film von ihm fertig ist? Wenn man ihn so auf der Bühne sieht und reden hört, dann kann man es sich kaum vorstellen, dass er eine solche Eitelkeit besitzt. Immerhin richten sich seine ersten Worte direkt gegen seinen Anzug. Dass er so etwas normalerweise nicht trage und sich schon freue, wenn er ihn in wenigen Stunden ausziehen und das restliche Festival dann anders rumlaufen kann. Andererseits scheint Petzold auch nicht die schlechteste Wahl für einen unterhaltsamen Eröffnungsabend zu sein. Sein Humor kommt erstaunlich gut an, was für einen Deutschen in Österreich bei weitem keine Selbstverständlichkeit ist. Erfrischend, weil er sich selbst nicht allzu ernst nimmt. So erzählt er davon, dass seine Schauspieler*innen ihm bereits vorab das Ende ausreden wollten und er aber darauf beharrte, da es eines der besten sei, die er ja geschrieben hat. Nur um dann nach den Dreharbeiten zu realisieren, dass es furchtbar sei und sie einen anderen Schluss drehen mussten.

Dementsprechend liegt es nahe, den Film von seinem Ende her zu denken. Eine Perspektivverschiebung, die sich zusätzlich noch dadurch verschärft, dass Miroirs No. 3 mit einem Schlussbild beginnt. Paula Beer (Das finstere Tal), die abwesend am Ufer eines Flusses steht, als wäre sie der Welt entrückt. Es ist kein unbekanntes Bild im Schaffen von Petzold, unweigerlich denkt man zurück an Yella, in dem ein Fluss als Ort eine elementare Rolle als Anfangs- und Endpunkt einnimmt. Aus Yella wird Laura, aus Nina Hoss (Pelikanblut) wird Paula Beer. Auch einen folgenschweren Autounfall teilt sich Miroirs No. 3 mit Yella. Während die Männer tot zurückbleiben, machen sich die Frauen auf in ein neues und befreites Leben. Wie so oft geht es bei Petzold dabei um Gespenster. Um das, was nach einem Unglück zurückbleibt und um den krampfhaften Versuch, diese Lücke zu füllen.
Im Gegensatz zu Nina Hoss ist Paula Beer jedoch nicht die zentrale Figur der Geschichte. Sie ist vielmehr Katalysator und Bindeglied. Einmal mehr gibt sie die mysteriöse Frau, die über den Dingen zu schweben scheint. Sie füllt die Leerstelle im Leben von Betty (Barbara Auer), die nach dem Tod ihrer Tochter nicht nur in eine Depression verfallen ist, sondern auch die Beziehung zu ihrem Mann Richard (Matthias Brandt) und ihrem Sohn Max (Enno Trebs) verloren hat. Dabei ist es durchaus erfrischend und angenehm, wie unmittelbar Petzold zentrale Punkte seiner Handlung behauptet und sich dabei wenig um Plausibilität schert. Mit Realismus hat das freilich wenig zu tun, wenn Paula Beer nach einem schweren Autounfall einfach bei einer fremden Frau einzieht und sich vom Tod ihres Freundes offensichtlich gar nicht betroffen zeigt. Schließlich soll es darum auch überhaupt nicht gehen.
Nichtsdestotrotz scheitert Miroirs No. 3 an der immergleichen Paula Beer, die im Gegensatz zur zerrütteten Familie wie ein Fremdkörper wirkt. Die wiederum funktioniert wunderbar in ihren Gegensätzen, die doch nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Während Vater und Sohn zu wenig reden, redet die Mutter zu viel und über die falschen Dinge. Einige gut gesetzte Pointen und schöne Momente, etwa wenn Laura für die Familie Königberger Klopse zubereitet, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konstruktion des Films nicht aufgeht. Zu behäbig und gleichzeitig zu vorhersehbar kommt die Geschichte in Fahrt, während Paula Beer tonal in einem anderen Film als der Rest der Figuren zu agieren scheint. Vielleicht hätte das ursprüngliche Ende, in dem sie wieder zur Familie zurückkehrt, diesen Graben auf groteske Art überwunden.