Es ist der Frühling des Jahres 1940. Hoch in den oberösterreichischen Bergen thront das Dorf St. Radegund. Erste Bilder zeigen ein Paar beim Mähen der Felder, ihre Werkzeuge im Fokus. Sensen durchtrennen im Takt die Grashalme, ein andauernder Rhythmus einer tagtäglichen, endlosen Arbeit. Und dennoch sind es Bilder eines Paradieses. Das Bauernpaar Franz (August Diehl, Inglourious Basterds) und Fanni (Valerie Pachner, Der Boden unter den Füßen) erinnert sich gemeinsam an ihre erste Begegnung und an eine Motorradfahrt durch die Weiten dieses endlosen Landes. „We lived above the clouds“, spricht Fanni. Die Kamera von Jörg Widmer (Pina) fängt dieses Leben als den Himmel auf Erden ein, der er für Franz und Fanni war und bald nie wieder sein wird. Terrence Malicks (Der schmale Grat, The Tree of Life) Ein verborgenes Leben schwelgt, wie man es aus den jüngeren Filmen seines neuerblühten Œvres gewohnt ist, in einem Zustand, der sich völlig der Subjektivität und der perspektivischen Befangenheit im Angesicht der Schönheit hingibt. Gleichzeitig ist Ein verborgenes Leben wohl der narrativste Eintrag in dessen Schaffenswerk seit The New World und stellt eine flüchtige Erinnerung an einen stillen Widerstand dar, welchem Malick eine visuelle Kathedrale baut.
Aufnahmen aus Leni RiefenstahlsTriumph des Willens bilden den Prolog des Filmes. Die glorifizierenden Aufnahmen von Hitlers sechstem Reichsparteitag, einst eingefangen zur Stilisierung eines faschistischen Herrschers, werden im Kontext von Malicks Film zur ersten Vorwegnahme der schleichenden Verbannung aus dem persönlichen Himmel. Am Anfang sind es Truppenoffiziere, die im Dorf Spenden für den Krieg sammeln, später sind es wütende Reden des Bürgermeisters (Karl Markovics, Grand Budapest Hotel). Franz Jägerstätter wird sich weigern, das Böse zu akzeptieren, auch wenn es alle anderen tun. Selbst als ihm die Kirche in Gestalt des Bischofs Joseph Fließen (Michael Nyqvist, Verblendung) rät, seinem Land zu dienen, steht Jägerstätter der eigene Glaube im Weg. Er kann Hitler nicht die Treue schwören und ist irgendwann bereit, für diese Einstellung den Tod zu akzeptieren. Aus der eisernen Verschlossenheit dieser Figur ergibt sich die Schönheit aus Malicks Film über die grausame, wahre Geschichte von einem flackernden Fragment der Humanität. „When you give up the idea of surviving at any cost, a new light floats in” vernehmen wir schließlich aus dem allgegenwärtigen Voice-Over.
Ein verborgenes Leben bietet einen anderen Blick auf die Welt. Einen Blick voller Ehrfurcht und Akzeptanz, wenn jeder Spaziergang in den gleißenden Feldern in ein heiliges, natürliches Licht getaucht wird, welches die Bilder selbst in den kalten Mauern eines Gefängnisses nicht zu suchen aufhören. Obwohl die Geschichte wesentlich klarer und geradliniger erscheint, bewegt sich Malicks Blick noch mit derselben Offenheit und Subjektivität durch den Film wie durch den Moshpit und die Produzentenvillen in Song to Song. Zwar ordnet Malick die Handlung in Ein verborgenes Leben sowohl zeitlich als auch örtlich (durch eingeblendete Orts-/Zeitangaben) in eine Chronologie, sein Blick verweilt dennoch über den Geschehnissen. Dadurch gelingt es dem Film, die explizit historisch vermerkte und damit lange vergangene, Geschichte des Filmes zu vergegenwärtigen. Die Perspektive des Zuschauers fokalisiert sich sowohl auf Franz, als auch Fanni. Später, wenn beide getrennt werden, wenn der selbstauferlegte Leidensweg von Franz beginnt, hält Malick immer noch an der Perspektive von beiden fest und kehrt immer wieder zu Fanni in das Dorf St. Radegund zurück, wo die Sensen, scheinbar unberührt von menschlichen Schicksal, weiterhin über die Felder gleiten. Nebenfiguren fließen durch die Fragmentierung der Montage förmlich in die Handlung und wieder aus ihr hinaus. Das, vom Menschen selbst auferlegte, Vertreiben aus dem privaten Eden mündet in ein stummes Martyrium.
Thematisch gesehen divergiert Ein verborgenes Leben wenig von Malicks vorhergehenden Filmen. Ähnlich wie in The Tree of Life verhandelt der texanische Regisseur die Bedeutung eines einzigen Individuums und dessen völlig singuläre Bedeutung im Kontext eines größeren Kosmos, der sich nicht für die Perspektive eines Einzelnen interessiert. Statt des gesamten Universums ist der allumgreifende Kontext hier die faschistische Herrschaft des Nationalsozialismus, dem sich Jägerstätter verweigert. Immer wieder sagt man ihm, wie unbedeutend sein stiller Widerstand doch sei und wie schnell man ihn vergessen wird. Doch Malicks Bilder sehen in jenem stillen Entgegenhalten die Rettung der Menschlichkeit. Gleichzeitig wird das friedliche Bauernleben mit den marschierenden Truppen in der Soldatenausbildung kontrastiert. Franz und Fanni stehen für einen alten Lebensweg, der noch nicht von einer pervertierten Moderne vergiftet wurde. Ein verborgenes Leben stellt in dieser Hinsicht eine Rückwendung zu einem Blick auf die Welt dar, in der die Schönheit noch im Moment existieren darf. Durch die historische Konzentration wird Malicks Philosophie greifbarer und sollte selbst denen, die vom fragmentarischen Stil Malicks jüngerer Arbeiten abgestoßen waren, genug Reibungspunkte bieten.
Obwohl Ein verborgenes Leben in Malicks Schaffenswerk weniger assoziativ wirkt stellt der Film keineswegs eine Rückkehr zu klassischeren Erzählmustern dar. Viel mehr gelingt es Malick eine neue Sprache für die Aufarbeitung der Historie zu entwickeln. Die atemberaubenden Aufnahmen in Kombination mit dem innergedanklichen Voice-Over der Figuren erschaffen einen gleitenden Strom der Transzendenz und des Innehaltens. Die wichtigste Geste des gesamten Filmes geschieht ohne Worte und vergeht in einem Augenblick, welcher durch die Perspektive des Filmes sowohl als flüchtig, wie auch als endlos wahrgenommen wird. Selbst die Akzeptanz des eigenen Untergangs kann ein befreiender Akt sein und selbst die unbedeutendste Geste kann die Welt ein Stück weit vor dem Untergang retten. Malick erscheint hier ganz als überzeugter Idealist, was sich passend anfühlt, war der porträtierte Franz Jägerstätter selbst seinem eigenen, persönlichen Glauben zutiefst verschrieben, egal, was sein Leben für alle nach ihm auch zu bedeuten vermag. Am Ende streifen die Sensen wieder über die Felder, wie sie es immer getan haben. Das Leben geht weiter, einfach weil es weitergehen muss. Die reale Fanni Jägerstätter verblieb nach den Geschehnissen des Filmes in dem Bergdorf St. Radegund, bis zu ihrem Tod 2013, im Alter von 100 Jahren.