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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Anora, eine junge Sexarbeiterin aus Brooklyn, bekommt ihre Chance auf eine Aschenputtel-Geschichte, als sie den Sohn eines Oligarchen trifft und impulsiv heiratet. Sobald die Nachricht Russland erreicht, ist ihr Märchen bedroht, da die Eltern sich auf den Weg nach New York machen, um die Ehe annullieren zu lassen.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Today this could be 

The greatest day of our lives 

Before it all ends

Before we run out of time…

Selbst die penetrant erheiternden Lyrics von Take That’s Song werden unter der Regie von US-Independent Star Sean Baker (Tangerine) zu einer melancholisch verklärenden Arie über die Hoffnung und den Fall, den sein Film Anora in sich trägt und zwischen denen er leichtfüßig schwebt. Nach der Euphorie von „Celebration“ zu denen wir in das Leben von Kindern in einem Motel am Rande von Disneyland in The Florida Project eingeführt wurden, bis hin zu den fatalistischen Klängen von „Bye Bye Bye,“ die uns den gnadenlosen Opportunismus seines Protagonisten in Red Rocket ins Hirn brannten, stellt die Verwendung von „Greatest Day“ einen weiteren Beweis für das Verständnis Bakers gegenüber des Versprechens der Popkultur, sowie dessen transparente Fähigkeit, in genau den richtigen Momenten mit Bedeutung aufgeladen zu werden. Wenn der Song schließlich seinen Film einleitet, weiß die titelgebende Sexarbeiterin Anora (Mikey Madison, Once Upon A Time…in Hollywood), die sich, ihrer Irrelevanz bewusst ist und in einem Versuch der Amerikanisierung sich lieber "Ani" nennt, noch nicht, dass für der beste Tag ihres Lebens bald nur noch einen Klienten entfernt sein wird, noch weniger ahnt sie das auch jener Tag bald ein Ende nehmen wird. Was als Pretty Woman-Märchen für Gen Z seinen Anlauf nimmt, wird durch das gewohnte Sezieren Bakers der Illusion des amerikanischen Traumes schließlich zum abstrusen Ritt ans Ende der Nacht. 

Ein Lapdance ist es schließlich, mit dem Anoras Reise vom schäbigen Nachtclub von Downtown Brooklyn in die High Society desselben Distrikts seinen Lauf nimmt. Die junge, russisch-stämmige  Dienstleisterin entzückt den 21-jährigen Ivan „Vanya“ (Mark Eydelshteyn) so sehr, dass er sie prompt für 15,000 Dollar pro Woche als seine eigene, persönliche „mega geile Freundin“ anheuert. Schon bald blüht sie in Ivans Leben zwischen Partys und Luxus auf und wird nicht müde, den jungen Oligarchensohn, der, anders als die jede Nacht arbeitende Anora, in seinem ganzen Leben noch keinen Finger krumm gemacht hat und dessen in Russland verweilenden Eltern ihm scheinbar grenzenlos freien Hand über ihr Einkommen überlassen, immer mehr zu verzaubern. Trotz entgegengesetzter sozialer Klassen eint Anora und Vanya eins: Sie sind beide Kinder und beide verloren in der Welt. Als sie einander finden, brennt ihr jugendlicher Leichtsinn mit ihnen durch und schon bald steht eine spontane Hochzeit in Las Vegas an. Es könnte hier alles ein Hollywood Happy End finden, doch Bakers Film, der von all seinen Sezierungen von Grenzsektionen des amerikanischen Traumes vielleicht am effektivsten Illusion und Realität zunächst voneinander trennt, um beides dann doch gnadenlos miteinander kollidieren zu lassen, hat nicht einmal die Hälfte seiner Laufzeit überschritten. In einer Reihe abstruser Ereignisse wollen Vanyas Eltern die Schnapsidee rückgängig machen und die Ehe annullieren, ein Unterfangen, das sich als Höllenritt entpuppen wird. 

Im snschließenden zweiten Teil seines Filmes ändern sich die Motivationen subtil und dennoch fundamental. Anora, die zuvor durch ihre finanzielle Misere dazu hinreißen ließ, den naiven Vanya gegen Geld eine Illusion der Liebe zu verkaufen, muss einsehen, dass sie selbst Opfer einer solchen Illusion geworden ist. Doch bevor sie dazu bereit ist, kämpft, beißt und schreit sie gegen die armenischen Handlanger von Vanyas Eltern an, die sie mit Mühe und Not aus ihrem neuen Luxusleben wieder entfernen wollen. Baker setzt in gnadenlos unterhaltsamer Manier der rücksichtslosen Beständigkeit seiner Protagonistin ein Denkmal und nutzt sie zu keiner Sekunde nur als bloße Verdeutlichung sozialer Missstände. Sein Kino, und Anora als sein kolossalstes Werk, ist eines der trügerischen Traumbilder, die aber selbst keine Träume erfüllen. Von einem visuellen Simulakrum ins Nächste stolpern wir, als Anora und Vanya ihre Verlobung in Instagram-ähnlichen Aufnahmen im glitzernden Las Vegas feiern, damit in der zweiten Hälfte ein chaotischer Ritt durch Downtown-Brooklyn beginnen kann. Hier ist Anora aber auch nie völlig Realität, sondern gibt sich einer irrwitzigen Chaos-Orgie hin, die schließlich in eine ernüchternde Erkenntnis mündet. Die magische Fähigkeit des Kinos, Illusion zu versprechen und Realität aufzudecken, wird hier auf spektakuläre Weise demonstriert. Dabei streift Anora in seinen 139 Minuten Laufzeit zahlreiche Subthemen, die hinter der Illusion des amerikanischen Traumes, durch seine mediale Vermarktung, eben in Form von Hollywood-Produkten wie Pretty Woman, aber erzählt am essenziellsten von der Desillusionierung seiner jungen Protagonistin. So sehr sich Anora ihre freche, widerständige und sexuell abgeklärte Attitude bewahrt, in einer entwaffnenden Schlussszene wird auch diese Barriere fallen und wir verlassen das Kino mit der markerschütternden Frage, was noch von uns übriggeblieben ist.

Fazit

Mit „Anora“ liefert Sean Baker nicht mehr und nicht weniger als die Kulmination und gigantischste Ausformulierung der Themen seines filmische Gesamtschaffens, von kapitalistischer Ausbeutung, trügerischen Illusionen der Popkultur und der respektvollen Beständigkeit seiner Sexarbeiter-Protagonisten. In 139 Minuten durchleben wir dank meisterhafter, bombastischer Inszenierung und eines dennoch zutiefst feinfühligen Drehbuchs von rauschhafter Euphorie bis zur erschütterndsten Ernüchterung nahezu alle Emotionen, die die Klaviatur der Leinwand nur beherrschen kann und verlassen das Kino als veränderte Menschen.

Kritik: Jakob Jurisch

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