Arlington Road ist einer dieser Filme, der bei einem angepeilten Release nach dem 11. September 2001 sofort aus dem Verkehr gezogen wäre und im Gegensatz zu vergleichbar harmlosen, da eher realitätsfernen Genrebeiträgen wie Collateral Damage wahrscheinlich lange im Giftschrank vor sich hin vegetiert hätte. Dies wäre nicht nur ein großer Verlust, es unterstreicht (ungewollt) gleichzeitig, wie fast prophetisch dieser Film (noch sehr) fiktional mit realen Ängsten spielt, die zu dieser Zeit wesentlich weiter weg schienen. Von der jüngeren Geschichte eingeholt, von der Aktualität (leider) nur bestätigt: Innere Sicherheit ist im Absoluten ein Trugschluss. Es kann jederzeit und wird immer wieder passieren, das Warum ist beinah zweitrangig, inzwischen zählt nur das Wann und Wo.
Ist das suburbane Idyll der gehobenen Mittelschicht-Gartenzaunromantik wirklich die letzte Ruhestätte des amerikanischen Traums oder nur die perfekte Tarnung, die Keimzelle des nicht an Religion oder Herkunft „einfach“ zu kategorisierenden Terrors, die niemand wahrhaben will? Geschichtsprofessor Michael Faraday (Jeff Bridges; Crazy Heart) freundet sich mit dem neuen Pärchen in der Nachbarschaft (Tim Robbins; Die Verurteilten; Joan Cusack; Shamless) an, bis zufällige Indizien einen schrecklichen Verdacht hegen: Sind die familienfreundlichen, gutsituierten Nachbarn in Wirklichkeit eiskalte Terroristen, die einen vernichtenden Vergeltungsschlag planen? Oder spielen ihm seine berufliche Beschäftigung mit der Materie wie die Folgen eines persönlichen Schicksalsschlags einen bösen Streich, der simpel zu erklärende Zufälle zu einer paranoiden Verschwörungstheorie vermengen? Arlington Road wäre schon verdammt gut, wenn er allein diese hochspannenden Prämisse bis ins Letzte ausreizen würde, doch ganz im Sinne von Hitchcock wird der Zuschauer nicht länger als unbedingt nötig im Unklaren gelassen, mit seinem Protagonisten vereint, um dessen Ausweglosigkeit wesentlich spannender zu gestalten. Das berühmte Beispiel mit der Bombe unter dem Tisch, selten wurde es besser adaptiert als hier.
Es ist schnell nicht mehr die Frage, was falsch oder richtig ist. Sondern nur, wie es auf Außenstehende wirkt. Wie es sich verkaufen lässt, ohne als verrückter Spinner abgetan zu werden. Wer jetzt Spoiler-Alarm schreit, der verkennt Arlington Road in seinem echten Potenzial. Wirklich aufregend ist nicht ob wir dem Protagonisten seine Wahrheit abnehmen, wir sind immer auf dem gleichen Wissensstand. Wichtig ist, ob es die fiktive Umwelt tut/es tun sollte. Und da wird der Film erst richtig stark. Hilflos muss man mitansehen, wie ein wachsamer, ein besonnener und (eben) nicht hypersensibilisierter Bürger aufgrund seines Backrounds zum Spielball wird, obwohl man niemanden aus dieser Annahme einen moralischen oder logischen Strick drehen könnte. Es ergibt sich aus dem Gezeigten. Minutiös, detailliert und logisch aufgebaut erschafft Mark Pellington (Zu guter Letzt) ein Musterbeispiel für modernen, zeitgemäßen Suspense, bei dem sich der besagte, pummelige Meister erfreut die Hände gerieben hätte. Perfide wird die Hauptfigur zermürbt, als unglaubwürdig und paranoid präsentiert, die Position des Zuschauers erscheint für die Handlung bald nebensächlich, für die Wirkung ist sie immens. Der Macguffin ist das Was, der Trigger ist das Wie.
Und diesen Abzug betätigt Arlington Road nach seinem akribischen und in der angepeilten Intention geschickt verschleierten Aufbau mit einem Druck, der seines Gleichen sucht. Der eigentlich sehr früh ins Boot geholt Zuschauer wird auf eine ähnlich hinterfotzige Art verladen wie der Held, spätestens da hätte es Hitchcock nicht mehr auf seinem Stuhl gehalten. Das Finale dieses Films ist nicht nur Spannungskino auf seinem Höhepunkt, es ist so unfassbar bitter, logisch und ernüchternd, dass das spätere (reale) Weltgeschehen nur noch erschreckender erscheinen lässt. Alles in diesem Film ist logisch, nachvollziehbar, glaubhaft…und genau dadurch sehr bedrohlich. Brillant, von vorne bis hinten, damals und erst recht heute.