Inhalt
In den frühen 1970er Jahren standen Jugendliche mit Behinderungen vor einer Zukunft, die von Isolation, Diskriminierung und Institutionalisierung geprägt war. Camp Jened, ein baufälliges Camp "für Behinderte" in den Catskills, zerstörte diese Grenzen. Jened war ihre Freilauf-Utopie, ein Ort, an dem im Sommer Sport, Rauchen und Schminken auf alle warteten, und Camper, die sich als Menschen erfüllt fühlten. Ihre Bindungen blieben bestehen, als sie nach Westen nach Berkeley, Kalifornien, wanderten - ein versprochenes Land für eine wachsende und vielfältige Behindertengemeinschaft -, in dem Freunde aus Camp Jened erkannten, dass Störungen und Einheit lebensverändernde Zugänglichkeit für Millionen Menschen sichern könnten.
Kritik
Es beginnt im Sommer 1973, im Camp Jened, das erste Sommercamp für behinderte Kinder und Jugendliche in den Vereinigten Staaten, in der nähe des Ortes, in dem auch das legendäre Woodstock Musikfestival stattfand. Die Doku Sommer der Krüppelbewegung (OT: Crip Camp) zeigt Archivaufnahmen dieser glücklichen Tage und lässt den Zuschauer daran teil haben, in dem damalige Teilnehmer in der Gegenwart darüber sprechen, wie befreiend es für sie war einige Wochen nicht als lebendiges Handicap wahrgenommen zu werden, sondern als junger Mensch, der Spaß haben will und mit gleichgesinnten über Unsinn lacht, aber auch tief greifende Gespräche zu führen. Die Freude und Freiheit dieser Aufnahmen bewirkt auch beim Zuschauer ein waschechtes Hochgefühl. Zu Beginn ist die Doku Crip Camp, trotz der eigentlich als bedrückend stigmatisierten Thematik, ein waschechtes Feel-Good-Movie.
Doch der Film von James Lebrecht und Nicole Newnham nimmt diese glücklichen Tage innerhalb des Camp Jened nur als Startschuss, um die wahre Geschichte einer Rebellion zu erzählen. Es geht um das Aufbegehren von Menschen mit Behinderung innerhalb der USA, die sich gegen Diskreminierung wehren und dafür auf die Straße gehen und neben der Hippie- sowie Anti-Kriegs-Bewegung für eine politische wie gesellschaftliche Aufbruchsstimmung gesorgt haben. Dass dahinter ein harter Kampf steckte und teils immer noch steckt, macht Crip Camp deutlich und so verweht die positive Grundlaune und weicht einer Verzweiflung, die nicht betäubt aber verständlich macht, warum all diese Kraftanstrengungen notwendig sind und waren. Nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Die von Michelle und Barack Obama produzierte Doku, der ehemalige US-Präsident und seine Ehefrau produzierten bereits den Oscars prämierten American Factory für Netflix, ist in ihren einfach aber effektiven Mitteln (Talking Heads, Archivaufnahmen, Voice Over) fulminant darin uns Zuschauern die unglaubliche Relevanz eines jeden menschlichen Leben vor Augen zu halten. Dabei werden auch Themen wie Sexualität nicht ausgespart. Einiges behandelt die Doku dazu auf eine unglaublich nonchalante Art und Weise. Andere Gebiete werden lautstark, fast schon mit geballter Faust, vermittelt und das ist auch gut so. Und dennoch erhebt sich der Film und seine Protagonisten niemals über sein Publikum. Es werden wahre Geschichten und richtige Absichten auf einer Augenhöhe vermittelt, egal ob man im Rollstuhl sitzt oder nicht.
In Crip Camp geht es nur auf den ersten Blick um eine Gruppe junger Menschen mit Behinderung. Viel mehr geht es in der Doku um eine klares Aufzeigen der Wichtigkeit von Gleichberechtigung und Humanismus. Der Film ist ein lautstarkes Plädoyer für genau das. Es werden in der Vergangenheit klare Worte und Taten gefunden, die teils Auswirkungen hatten, von denen unsere Gesellschaft heute noch zehren können. Crip Camp ist die Geschichte von wahren Helden. Eine Dokumentation, die viele sehen sollten und einige auch sehen müssten. Abschließend noch die Worte von der ehemaligen Camperin Denise Sherman Jacobson, die 1973 vermutlich den besten Sommer ihres Lebens im Camp Jened verbrachte, als sie diesen magischen Ort für die Doku noch einmal besucht:
"Ich würde am liebsten aus dem Rollstuhl klettern und den verdammten Boden küssen."
Nach der Sichtung von Crip Camp kann man diese Aussage verstehen und würde ihr nur zu gerne aus dem Rollstuhl helfen.
Fazit
"Crip Camp" ist eine Perle unter den Dokus von Netflix. Ein leidenschaftlicher Lobgesang auf Humanismus und das Leben, aber auch ein klar ausformuliertes Manifest dafür, wie wichtig es ist gegen Diskriminierung vorzugehen.