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Frankreich, Ende des 17. Jahrhunderts: Der Offizier Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) ist nicht nur seiner Zeit voraus, er ist auch begabt − mit der Schreibfeder ebenso wie mit dem Degen. Doch aufgrund seiner äußeren Erscheinung ist er überzeugt, dass seine enge Freundin, die schöne Roxanne (Haley Bennett), seine Liebe niemals erwidern wird, und bringt es nicht übers Herz, ihr seine Gefühle zu gestehen. Eines Tages vertraut sie ihm an, dass sie sich in den gutaussehenden Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr.) verliebt hat. Fortan hilft Cyrano ihm, Roxanne zu umwerben, indem er in Christians Namen Briefe an sie schreibt – und so seinen eigenen Emotionen Ausdruck verleiht.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Schon immer hat das Theater Stoffe hervorgebracht, die derart zeitlos beliebt sind, dass sie nicht nur immer wieder aufs Neue aufgeführt, sondern auch etliche Male neu verfilmt werden. Und das auch obendrein in den verschiedensten Szenarien. Ob nun als klassisches Kostümdrama, deutscher Jugendfilm im Rap-Millieu (Das schönste Mädchen der Welt) oder zuletzt mit Nur die halbe Geschichte von Netflix sogar mit gleichgeschlechtlich umgekehrten Rollen - sie alle drehen sich im Kern um dasselbe wie schon das Versdrama "Cyrano de Bergerac" von Edmond Rastond aus dem Jahr 1897.

Da überrascht es schon, dass die Geschichte um einen unglücklich verliebten Rekruten, der für seinen Nebenbuhler der Angebeteten an seiner Statt Liebesbriefe schreibt - die sogar schon 1900 als Vorlage für einen der ersten Spielfilme überhaupt diente - trotz der vielen Neuadaptionen bislang noch nicht für ein üppig ausgestattetes Kinomusical hergenommen wurde. Zumindest auf der Theaterbühne war dies aber schon früher der Fall. Cyrano erwies sich 2018 als Bühnen-Dauerbrenner im US-Bundesstaat Connecticut und 2019 sogar kurzzeitig am New Yorker Broadway. Das rief wohl auch wenig später Regisseur Joe Wright (Stolz und Vorurteil) auf den Plan. Der war schon seit seiner Sichtung des Films mit Gérard Depardieu lange Jahre von dem Stoff begeistert und dann von der Neuinterpretation der Theaterdramaturgin Erica Schmidt offenbar ebenfalls so sehr, dass er neben ihr auch gleich prompt beide Bühnenstars für seine Verfilmung verpflichtete.

Wie schon beim Broadway-Erfolg, wirft man dabei trotz starker Werktreue in altmodisch barocker Szenerie auch für die Leinwandversion gleich mal das markanteste Markenzeichen der Figur Cyrano de Bergerac selbstbewusst über Bord. Während der Titelheld in den meisten Inkarnationen mit einer unansehnlich übergroßen Nase gestraft ist, spart sich Erica Schmidt, die hier nun als Drehbuchautorin fungiert, dieses durchaus überholte Klischee und schreibt die Rolle stattdessen ihrem Ehemann und Hauptdarsteller Peter Dinklage buchstäblich auf den Leib. Der muss sich nun als Kleinwüchsiger und Außenseiter im Regiment des Grafen de Guiche (Ben Mendelsohn) gegen Spott und Häme behaupten, den seine Peiniger jedoch meist schnell mehr als bereuen.

Dabei mag der Ex-Game of Thrones Star gerade zu Anfang doch sehr stark an seine Paraderolle als Tyrion Lannister erinnern, wenn er auch als Cyrano stets das Herz spürbar auf der spitzen Zunge trägt. Doch hat er dabei auch das des gefühlvollen Poeten, der sowohl beim Umgang mit der Klinge als auch der Feder von seiner Umwelt stets unterschätzt wird. Trotz genug lakonischem Witz, gelingt es Dinklage mühelos, die tiefe Traurigkeit des Charakters hinter der verständnisvollen Fassade zu transportieren, als ihm seine Herzensdame Roxanne (Haley Bennett) im Vertrauen von ihrem großen Schwarm berichtet und im selben Atemzug, dass sie mit diesem bis jetzt noch kein Sterbenswort gewechselt habe.

Doch ist es auch eben genau diese bittersüße Note, die bei dem über hundert Jahre alten Stoff bis heute den Reiz ausmacht und zudem längst zum Synonym schlechthin für den sogenannten "Ghostwriter" geworden ist. Natürlich stellt Cyrano auch hier einmal mehr das Glück seiner Holden über das eigene und schiebt die eloquent verfassten Liebesbriefe seinem Kameraden Christian (Kelvin Harrison Jr. ) zu, damit dieser an seiner Statt Roxannes Herz erobern kann. Dabei ist auch Wrights Inszenierung voll durch die Luft fliegender Papierblätter, inbrünstiger Liebesschwüre und warmer Farben keineswegs frei von Kitsch, dennoch gelingen hier und da auch immer wieder humorvolle Spitzen. Etwa wenn der stattlichere, aber ebenso arg unbeholfene Christian nach Wochen romantischer Avancen im Vieraugengespräch nur abgestandene Liebesbekundungen für Roxanne übrighat und wenig später von Cyrano – in bester Theatertradition – wie von einem Souffleur aus dem Schatten heraus die richtigen Worte vorgesäuselt bekommen muss.

Die Stimmung der Vorlage findet aber ohnehin mehr als genug Raum, wenn es um die Königsdisziplin eines Musicals wie Cyrano geht: die Songs. Die stammen hier von der US-amerikanischen Indieband The National und werden mit ihrer eher verhaltenen, gedämpften Melancholie wohl nicht auf Anhieb jedermanns Geschmack bzw. Gehörgang treffen. Als großes Plus erweist sich dabei, dass die Gesangspassagen, die sich mit gesprochenen Dialogen etwa die Waage halten, nicht wie so häufig als willkürlich eingeschobene Musikvideos daherkommen. Stattdessen schafft es das Brüdergespann Aaron und Bryce Dessner mit den treibenden Pop-Rhythmen und Texten von Matt Berninger und Carin Besser das Leinwandgeschehen gekonnt zu kommentieren und gedanklich zu erweitern, ohne es dabei musikalisch zwangsläufig auf allzu gefällige Ohrwürmer anzulegen. Das gilt zudem auch für die aufwendig choreografierten Tanzpassagen, vor denen Joe Wright als Musical-Neuling ebenfalls nicht zurückschreckt und die er mit Stammkameramann Seamus McGarvey erstaunlich stimmig und ungezwungen in den Szenenablauf zu integrieren weiß.

Musikalische Highlights kann Cyrano, für den die Schauspieler wie schon bei Tom Hoopers Les Misérables durch die Bank auch wirklich live am Set performen mussten, aber trotzdem aufbieten. In einer Montage gibt das Liebesdreieck Cyrano/Roxanne/Christian „Every Letter“ zum Besten, die von  enttäuschte Roxanne lässt vor der berühmten Balkonszene mit „I Need More“ ihrer Enttäuschung anmutig freien Lauf und selbst Ben Mendelsohn darf als ewiger Bösewicht mit einer düsteren Ballade beeindrucken. Dabei ist die deutlich hörbar gesangserprobte Haley Bennett als Roxanne ihren Kollegen klar überlegen. Christian Darsteller Kelvin Harrison Jr.  schlägt sich daneben zumindest wacker, während Peter Dinklage seinen Cyrano eher durch halben Sprachgesang, etwa in seinem Solo "Your Name" abhebt, was er aber wiederum mit klarer Ausdrucksstärke spielend wettmachen kann. Glücklicherweise hat Universal, anders als zuletzt bei Cats, darauf verzichtet, die Songtexte gnadenlos einzudeutschen, sondern diese lediglich mit Untertiteln versehen.

Aber auch wenn Cyrano genreüblich natürlich nicht mit seinen - inzwischen für einen Oscar nominierten Kostümen und seiner Ausstattung geizt - so verfällt der Film, anders als viele andere Vertreter, doch kaum dem reichhaltig zur Schau gestellten Protz. Das macht sich vor allem ganz besonders dann bemerkbar, sobald die meist knallige Farbpalette im letzten Drittel zu graublauer Tristesse herunterkühlt und man damit ausgerechnet in den Schrecken des Krieges auch einen späten emotionalen Höhepunkt findet. Wenn hier todgeweihte Soldaten im Feldlager ihre Abschiedsbriefe an mal mehr, mal weniger Liebste daheim vortragen und anschließend mit dem Männerchor „Wherever I Fall“ ins letzte Gefecht und sichere Jenseits ziehen, erreicht Cyrano eine wehmütige, tiefe Tragik, die man bei Joe Wright so zuletzt wohl nur in Abbitte mit derartigem Nachhall erlebt hat. Und mit der Botschaft um falschen Stolz und gesellschaftliche Vorurteile, reiht sich sein erstes Musical neben dem anderen Sittengemälde um zwei Liebende in seine Filmografie schlussendlich obendrein vortrefflich ein.

Fazit

Nach dem unfreiwilligen Netflix-Exilanten "The Woman in the Window", darf Joe Wright in seinem Kino-Comeback sowohl zu den eigenen Wurzeln zurückfinden als auch Neuland betreten. Dabei landet er mit seinem ersten Kinomusical nach einer allzu oft verfilmten Vorlage sicherlich nicht den ganz großen Wurf und weiß dem zeitlosen Stoff auch nicht großartig  etwas Neues beizusteuern, schlägt sich dafür bei der Umsetzung aber ausgesprochen gut. Mit modernen Anpassungen im klassischen Setting, poppig-melancholischen Songs ohne Ohrwurm-Penetranz und vor allem den starken Darstellern, liefert er eine solide Neuverfilmung ab, die den Geist der altbekannten Geschichte atmet und nicht nur für Musicalfans durchaus einen Blick wert sein könnte.

Kritik: Dominik König

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