Triste Sandstrände, eisige Wassermassen, graue Wolkenbänke - die Bilderwelten, die Christopher Nolan dieses Jahr in Dunkirk aufbot, sind ihrer IMAX-Projektion entsprechend von überwältigender Größe gekennzeichnet. Nicht als Kriegs- sondern als Überlebensfilm wollte Nolan Dunkirk verstanden wissen, als nüchternes Erfassen und Abbilden eines "so war es", nicht als pathetische Fiktionalisierung der wahren Ereignisse, wie man es vom amerikanischen Kriegsfilm zumeist gewohnt ist. Der immersiven Größe und ohrenbetäubenden Lautstärke von Dunkirk setzt Joe Wright mit Darkest Hour nun noch im selben Jahr ein ergänzendes companion piece entgegen. Die Einkesselung der britischen und französischen Armee an den Stränden von Dünkirchen ist eines der Schlüsselereignisse des Films, der in gewisser Weise ebenfalls vom Überleben erzählt, wenngleich in weniger apokalyptischen Dimensionen.
Wrights Fokus liegt dabei auf menschlichen Gesichtern, in denen sich die Schwere wichtiger Entscheidungen abzeichnet. Immer wieder inszeniert er Enge und in dieser Enge, Isolation. Winston Churchill wird hineingezwängt in Fahrstühle, die winzig durch die überwältigende Finsternis des Filmbildes gleiten; in Kabinen, in denen das Schicksal der westlichen Welt an einem Telefonhörer ausgehandelt wird. Wenn sich die Schlinge des unbarmherzig heranrückenden Nationalsozialismus immer fester um Churchills Hals zuzieht, und damit der Zorn seines Kriegskabinetts dringlicher wird, inszeniert Wright immer wieder Momente eines hitzigen, wortpotenten Kammerspiels, in dem sich vor allem Gary Oldman profilieren kann, der unter den Tonnen von Make-Up und Prothesen oft nur noch an seiner Stimme auszumachen ist.
Oldman überzeugt wie gewohnt, in dem er die Figur mit allerlei eigenwilligen Ticks ausstattet, auch wenn er gerade in weiten Aufnahmen beinahe zu flink und agil wirkt, etwa beim behändigen Erklimmen der Parlamentsstufen. Eine menschliche Annäherung, die das Dilemma seiner resoluten Politik überschreitet, lässt Drehbuchautor Anthony McCarten derweil nur im Hintergrund anklingen, etwa in den grimmigen Gesichtern von Churchills Kindern, die mit ihm reserviert auf die Erfüllung seines Lebenstraums anstoßen (müssen). Alle sonstigen Handgriffe sind allein zweckmäßig, dienen nur einer Charakterisierung innerhalb und zugunsten des politischen Dramas, was die Menschen des Films - ähnlich wie bei Dunkirk - aus dem Fokus der Erzählung geraten lässt. Wo bei Nolan jedoch die kollektive Terror- und Taubheitserfahrung im Vordergrund steht, hängt Darkest Hour zu strikt an den Strukturen eines klassischen Erzählkinos, das auf seine Figuren(-zeichnung) angewiesen ist. Die menschliche Ebene des Films aber bleibt bis zum Schluss ziemlich mager.
So verliert der Film zunehmend an Intensität, vor allem wenn er sich aus seinen stickigen Räumen hinaus- und ins offene Kriegstreiben hineinbewegt, etwa zugunsten einer kurzen Szene, die in unangenehm effekthascherischen Bildern vom Untergang der britischen Truppen in Calais erzählt. Was in Momenten wie diesen bereits hindurchschimmert, entblößt sich dann schließlich als fatalste Schwäche des Films: Das Hauptinteresse gilt dem Pathos der Geschichte, nicht ihren Menschen. Eine regelrechte Zelebration erfährt dieser Pathos dann in einer Szene am Ende, die Darkest Hour nicht nur als recht radikale, sondern scheinbar auch schamfreie Dramatisierung der wahren Ereignisse entlarvt: Churchill sucht die Nähe zum "einfachen Volk", in dem er zum ersten Mal in seinem Leben mit der U-Bahn fährt.
Nicht nur ist sich diese Szene scheinbar nicht ihrer Scheinheiligkeit bewusst, möchte sich Churchill hier doch nur seine sture Politik rechtfertigen lassen, in dem er den hörigen Bürgern durch die richtigen Fragen genau die Antworten entlockt, die er hören möchte. Nein, inszenieren tut Joe Wright diese verlogene Szene im scheinbar möglichst verlogenen Tonfall, so pathetisch und rührselig, bis man sich in einem parodistischen Gegenentwurf zum bis eben beigewohnten Film wähnt. Dass Anthony McCarten und Joe Wright zugunsten eines solchen Erbauungsmoments auch endgültig die Figur des offen rassistischen Winston Churchill verklären, und ihn in einem besonders toxischen Bild liebevoll die Hand eines dunkelhäutigen Bürgers tätscheln lassen, lässt dann auch das letzte Fünkchen Wohlgefallen ersterben.