-„Ich wurde angegriffen, hier in der Wohnung!“
-„Schon wieder?! War es wieder derselbe?“
-„Das war nicht das erste Mal??“
-„Jaja, das passiert ihr öfter…“
Die frühen 1970er waren unbestritten das Golden Age des Giallo. In dieser Zeit entstanden unzählige Vertreter der italienischen „Groschenroman“-Thriller, von denen nicht wenige zu den besten ihrer Zunft gehören. Das lässt sich nicht unbedingt über Das Geheimnis der blutigen Lilie (im Original mit dem klangvollen wie umständlichen Titel Perché quelle strane gocce di sangue sul corpo di Jennifer? versehen) von Giuliano Carnimeo (Sartana kommt, hier unter dem üblichen Ami-Synonym Anthony Ascott) sagen, dafür ist dieser Genre-Hallodri eindeutig zu beknackt. Dabei geht es nicht mal um irgendeine Form von Logik- oder Plausibilitätsdefiziten, damit ließe sich selbst der Speerspitze der Gialli jederzeit mühelos K.O. schlagen. Ein exzellenter Giallo funktioniert in erste Linie über Stimmung, Stilistik und wenn alles glatt läuft, sogar Spannung. Davon gibt es bei diesem Exemplar zwar durchaus hier und da mal ein paar Ansätze zu sehen, im Wesentlichen ist das aber eigentlich nur teilweiser unfassbarer Quatsch mit relativ wenig Blutsoße, dumm wie Ciabatta von vorgestern und mitunter nah an der Selbstparodie, aber genau dadurch generiert er etwas, was bei diesem Sub-Genre eben auch oft eine absolute Geheimwaffe sein kann: ein absurder Unterhaltungswert jenseits von Gut, Böse und komplett hirnrissig.
„Du hast 3 Stunden am Stück gearbeitet. Warum willst du dich ruinieren?“
Genau, erstmal schön den Ball flachhalten, sonst kippt unsere Workaholicerin Jennifer (Giallo-Ikone #1: Edwige Fenech, Der Killer von Wien) bald noch aus den High Heels. Stress hat die Gute schließlich schon genug, schließlich wird sie von ihrem psychopathischen Ex-Gatten Adam gestalkt, der sie dringend wieder in seine seltsame Nackedei-Gruppensex-Sekte zurückholen will, notfalls auch mit Gewalt. Gott sei dank stellt sich der dabei überwiegend ziemlich dusselig an, trotzdem ist die Gefahr durchaus latent. Da der fesche Architekt Andrea (Giallo-Ikone #2: George Hilton, Die Farbe der Nacht) ihr und ihrer nicht gerade von einem Übermaß an Intelligenz gesegneten Kollegin gönnerhaft und kostengünstig ein schmuckes Appartement zur Verfügung stellt, hat sie zumindest eine Sorge weniger. Wäre da nicht der Umstand, dass vor kurzem erst im Fahrstuhl des Mietshauses eine Prostituierte aufgeschlitzt und ihre Vormieterin – zu der Andrea auch schon Kontakt hatte – in ihrer eigenen Badewanne ertränkt wurde. Jener maskierte Meuchelmörder hat es nun natürlich auch auf Jennifer abgesehen, nur nimmt dies bis auf den netten Andrea offenbar niemand außer ihr besonders ernst.
Ihre Mitbewohnerin ist verantwortlich für den einleitenden Dialog dieser Kritik, der ermittelnde Kommissar freut sich am Tatort lieber über seltene Briefmarken als über Beweise, hat im Aktenschrank unter „B, wie Barzubehör“ den Hochprozentigen gebunkert und trägt ganz ungeniert sein erfrischendes Gedankengut zur Schau („Wir sind doch alles nur Menschen und jeder Mann will es einmal mit einer Schwarzen machen“) und wenn Jennifer völlig verstört und nur mit Unterwäsche bekleidet bei der Nachbarin klingelt und der nichts Besseres einfällt als „Na na, ist ihr Freund etwas übers Ziel hinausgeschossen?“, dann bleibt ihr wohl wenig Hoffnung auf sinnstiftende Unterstützung. Der Killer tritt dabei eigentlich ganz stilsicher in Schwarz mit Hut, Maske und scharfer Klinge auf, statt schwarzen gibt es hier aber seltsam gelbe Handschuhe, die nicht nach Leder aussehen, sondern als wenn er damit gleich die Toilette putzen möchte. Das beschreibt diesen ganzen Film auf gewisse Weise ganz gut. Man merkt schon, dass Giuliano Carnimeo sich eifrig an den Großen orientiert und es hm durchaus auch mal gelingt, ein paar stimmige Setpieces rauszuhauen. Da gibt es mal einige dynamisch-akrobatische Kameraspielerein, natürlich reichlich Sleaze und die wenige Mordszenen sind definitiv ordentlich inszeniert. Dem gegenüber steht dafür allerhand Nonsens mit beinah cartoonesken Figuren, die selbst für einen Giallo nie und nimmer auch nur im Entferntesten ernst zu nehmen sind.
Hat man sich aber damit abgefunden – und das muss man relativ schnell, sonst geht hier gar nichts mehr -, dann kann Das Geheimnis der blutigen Lilie erstaunlich viel Spaß machen. Von Thrill und hochwertiger Genre-Kunst keine Spur, aber in seinem Dasein als abstruser Bullshit hat das allemal seine Daseinsberechtigung. Würde man nur ausgewählte Momente davon sehen, man könnte gar von einem echten Highlight ausgehen, dazwischen passiert aber so viel Blödsinn, dass man sehr, sehr oft schmunzeln und manchmal sogar beinah lauthals lachen muss. Und hey, damit hat der Film auch sein Ziel erreicht – ob so geplant oder nicht, wollen wir mal lieber gar nicht zur Debatte stellen.