6.3

MB-Kritik

Das Kabinett des Dr. Parnassus 2009

Mystery, Adventure, Comedy, Fantasy – UK, Canada, France

6.3

Andrew Garfield
Christopher Plummer
Richard Riddell
Katie Lyons
Richard Shanks
Lily Cole
Verne Troyer
Bruce Crawford
Johnny Harris
Lorraine Cheshire
Mark Benton
Lewis Gott
Sian Scott
Simon Day
Moya Brady
Charles McKeown

Inhalt

London in unserer Gegenwart: in den eher abgelegenen Seitenstraßen an den Ufern der Themse zieht der Schausteller Dr.Parnassus mit seiner kleinen Truppe an Schaustellern und seinem seltsam altmodischem Gefährt herum, um Zuschauer zu finden. Er hat seine Seele dem Teufel verspielt und gleichfalls das Leben seiner 15jährigen Tochter Valentina, die an ihrem näherrückenden 16.Geburtstag dem Satan in Gestalt von Mr.Nick anheim fallen wird. Schon läßt sich Parnassus auf eine neue Wette ein, bei der er binnen drei Tagen fünf Seelen verführen muß, um aus seinem Kontrakt entlassen zu werden. Da greifen die Schausteller den etwas düsteren Herumtreiber Tony auf, der sich in Valentina verliebt und dementsprechend einiges Geschick an den Tag legt, die Wette zugunsten von Parnassus zu erfüllen....

Kritik

Als Terry Gilliams kurioses Filmtheater 2009 in den Kinos startete, waren seine Hauptattraktionen der noch während der Dreharbeiten verstorbene Heath Ledger und die Spezialeffekte. Die computertechnische Trickkiste von damals wirkt heute so verstaubt, wie das CGI-Effekte oft an sich haben, und Ledgers früher Tod ist ein Stück Hollywoodgeschichte ohne unmittelbaren Schockreiz. Aber der kapriziöse Fantasyfilm ist erstaunlich gut gealtert. Trotz seiner Holprigkeiten im Plot und inszenatorischen Schnitzer, die wie ein unbeabsichtigter Blick hinter die Kulissen der Bühnenshow wirken, ist das Resultat beim zweiten Ansehen sogar vergnüglicher als beim ersten Mal. Vielleicht liegt es auch daran, dass Gillams Werk sieben Jahre nach seiner Entstehung von der erdrückenden Erwartungshaltung, die seinen Kinostart begleitete, befreit ist. 

Von Ledgers letzter Rolle ist zu wenig vorhanden für einen spektakulären Schlussakkord seiner Karriere. Doch die flüchtigen Kurzauftritte innerhalb der magischen Geschichte reihen sich auf seltsame Weise in die letzten Leinwandauftritte anderer jung verstorbener Schauspieler ein: James Deans Nebenrolle in „Giganten“ oder River Phoenix Auftritt in „Silent Tongue“. Die Geschichte selbst versprüht einen altmodischen Charme, der die Verspieltheit von „Der mysteriöse Dr. Lao“, mit der Finsternis von „Nightmare Alley“. Das Imaginarium genannte Wandertheater, mit dem der tausendjährige Magier Dr. Parnassus (Christopher Plummer) durchs moderne London zieht, wird vom Publikum höchstens verspottet. Die Mischung aus Puppentheater und Side Show, die seine Tochter Valentina (Lily Cole), der kleinwüchsige Assistent Percy (Verne Troyer) und der tollpatschige Gehilfe Anton (Andrew Garfield) vorführen, ist nur ein trauriges Relikt der Vergangenheit. Da schließt sich der undurchsichtige Tony (in wechselnden Personifikationen von Heath Ledger, Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell) der Gruppe an. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Galgenvogel, der mit zwielichtigem Charme die Zuschauer verführt. Das ist genau der Assistent, den Parnassus braucht. Denn der alte Zauberer hat die Seele seiner Tochter dem diabolischen Mr. Nick (Tom Waits) versprochen. Auslösen kann er Valentina nur, wenn er bis zu ihrem 16. Geburtstag fünf Seelen als Ersatz liefert. 

Das Bedeutungsspektrum des Originaltitels umfasst Kuriositätenkabinett und Zaubershow: ein Ort, an dem sich das Wundervolle mit dem Schreckenerregenden vermischt. An verlockenden Ideen mangelt es Gilliam nicht. Eher gleicht der Regisseur einem Jongleur, der zu viele Bälle auf einmal ins Spiel bringt und deshalb alle fallen lässt. Der faustische Pakt mit Waits charismatischem Mr. Nick rückt eine sardonische Vieldeutigkeit in die Geschehnisse. Nichts scheint in diesem Kabinett absolut sicher, weder Menschen noch Motive. Ist die von der wunderbaren Lily Cole gespielte Valentina, verwunschene Prinzessin oder Verführerin? Ist Tony der Narr aus dem Tarot oder verkörpert er die dunkle Seite seines Namensvetters Anton? Valentina wechselt ihr Wesen mit ihren Kostümen, Tony seines mit seinen Gesichtern. Dr. Parnassus gewinnt gar teuflische Züge, wenn die Theaterkulissen ihn als Lichtbringer zeigen, was wiederum ein Synonym für Luzifer ist. Ironischerweise ist der einzig zuverlässige unter den Hauptfiguren - Mr. Nick.

Fazit

Parnassus Zaubertheater, ein Gemisch aus Puppenspiel, Variete und Spiegelkabinett, ist ein Fremdkörper in der grellen Gegenwart. Wenn es durch die Straßen der neuzeitlichen Welt rumpelt, wirkt es wie eine Metapher für Gilliams Film: vielleicht nicht das schnittigste Objekt in Sichtweite, aber dafür das Originellste.

Autor: Lida Bach
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