Er nörgelt pausenlos rum. Sie verabscheut ihn. Er ist Dieter, herrischer Egomane. Sie ist Margot, feinfühlige Gattin und Erbin eines Schlosses. Dort macht er eine unheimliche Entdeckung. Eine Gestalt im Dunkeln. Ein Schock – er verliert die Autoschlüssel. Für diese Nacht sitzen sie fest. Die Zeit nutzen, um sich zu versöhnen? Geht nicht. Hier ticken die Uhren anders. Vergangenheit? Zukunft? Gibt’s nicht. Und: Margot und Dieter sind nicht allein. Jemand beobachtet ihr zankendes Schauspiel genauestens.
Mit Hager gelang dem gebürtigen Österreicher und Wahl-Berliner Kevin Kopacka 2020 ein äußerst interessantes Spielfilmdebüt als Regisseur & Drehbuchautor, bei dem er trotz (oder gerade wegen) der sehr limitierten Mittel ein großes Talent für surreal-bizarre Stimmung und ein Händchen für die entsprechende, optische Präsentation offenbarte. Damit ging sein No-Budget-Mystery-Noir natürlich deutlich an den Sehgewohnheiten des Mainstreams vorbei, für den er ohnehin nicht konzipiert war. Über den Tellerrand diverser Festivalvorführungen und anderer Special Screenings dürfte er daher kaum hinausgekommen sein und es wäre doch sehr verwunderlich, wenn es dem Folgefilm Dawn Breaks Behind the Eyes da anders ergehen sollte. Bereits im letzten Jahr lief der Film auf etlichen Independent-Film Festivals rund um den Globus und das durchaus sehr erfolgreich. Sowohl beim Buenos Aires Rojo Sangre Horror Film Festival, dem Be Afraid Horror Fest in Italien, dem Pumking Fantasy Film Festival in Peking, dem Dracula Film Festival in Rumänien und dem Phenomena Festival in São Paulo wurde er gar als bester Spielfilm ausgezeichnet.
Der „normale“ 08/15-Kinogänger sollte aber dennoch zwingend vorgewarnt werden: Dawn Breaks Behind the Eyes richtet sich eindeutig nicht an die breite Masse und wird eben diese nicht nur durch seinen unkonventionellen Inhalt, sondern allein schon durch seinen unübersehbaren Independent-Look wohl kaum ansprechen. Der Einstieg gestaltet sich allerdings auch mit dem Bewusstsein für das Kommende als gewöhnungsbedürftig. Wir begleiten das Paar Dieter (Frederik von Lüttichau) und Margot (Luisa Taraz) bei der nächtlichen Besichtigung eines heruntergekommenen Schlosses, dass Margot geerbt hat. Dabei sagen beide arg unnatürliche, oftmals affektiert-hölzern vorgetragene Dialoge auf und agieren mehr wie auf der Bühne einer alternativen Theater-Gruppe. Damit muss man erstmal klarkommen und sich auch ein gutes Stückweit durchbeißen, denn die erste halbe Stunde tappt man doch ziemlich im Dunkeln, vorauf das Ganze hinauslaufen soll. Bis hierher scheint es noch in Richtung eines schlichten Haunted House-Streifens zu gehen. Und das wäre – besonders in dieser gelinde gesagt etwas merkwürdigen Art der Präsentation – vermutlich ein kompletter Reinfall.
Hat man diesen ersten Akt hinter sich gebracht, offenbart Kevin Kopacka gottlob, dass diese sonderbare Stilistik einen Sinn verfolgt und sich seiner Art und Weise sehr wohl bewusst ist. Ab dem Punkt steigert sich Dawn Breaks Behind the Eyes nicht nur deutlich und beweist ein gesundes Maß an Selbstironie, sondern entwirft tatsächlich ein durchaus interessantes Modell einer sich ständig wiederholenden, in Zeit und Raum scheinbar verlorenen wie gefangenen, diffusen wie toxischen und destruktiven Beziehung, die in teils sehr faszinierende Bilder und Montagen getaucht wird. Referenzen können dabei vermutlich im klassischen Gothic-Grusel und Giallo fantastico gesucht werden, als recht naheliegendes Referenz-Werk fällt einem dabei – speziell auch auf der Handlungsebene - Elio Petri’s surrealer Klassiker Das verfluchte Haus aus dem Jahr 1968 ein. An dessen Qualität kommt dieser Film natürlich nicht heran und genau das ist auch das grundsätzliche Problem von Kopacka’s unwahrscheinlich ambitionierten Werk: es muss sich zwangsläufig an Maßstäben messen lassen, die es unmöglich im Stande ist, gleichwertig zu erfüllen.
So wirkt Dawn Breaks Behind the Eyes trotz seiner interessanten Ansätze viel zu aufgesetzt und vage, ohne dabei einen wirklich tiefgehenden, innerlichen Diskurs anzustoßen. Obwohl er einigen seiner Figuren einen ausgeprägten Hang zur Prätention vorwirft, muss er sich selbst diesen Vorwurf ebenso gefallen lassen. Es ist hier deutlich mehr Schein als Sein. Ein vielversprechender Gedanke, der irgendwie flüchtig und unvollständig erscheint. Das mag sogar Absicht sein, fühlt sich nichtsdestotrotz unbefriedigend an. Über seine handwerkliche Umsetzung lässt sich in Anbetracht seiner bescheidenen Möglichkeiten kaum ein schlechtes Wort verlieren und erneut deutet Kevin Kopacka, dass er womöglich mal zu etwas wirklich Großem fähig sein kann. Es wird vermutlich nie im Fokus der breiten Öffentlichkeit stattfinden, aber dafür scheinen seine Filme auch nicht gemacht. Dieser hier steht sich mit seinem selbstgewählten Anspruch leider ein gutes Stück selbst im Weg.
Fazit
Ein ungewöhnliches, grundsätzliches hochinteressantes, aber nicht durchwegs gelungenes Independent-Film-Experiment, bei dem sich unmöglich eine allgemeingültige Prognose für den geneigten Zuschauer stellen lässt. Von völligem Unverständnis bis zur ekstatischen Euphorie scheint hier alles im Rahmen des Möglichen. Man sollte dem Film unbedingt eine Chance einräumen, denn wenn er eines nicht ist, dann beliebig oder gar belanglos.