„Vater unser, wieso bist du solch ein Wichser? Siehst du Mädchen, zeigst du sein wahres Ich. Dein Reich stinkt. Dein Wille geschehe im Schritt eines Großvaters. Lasst uns den Sohn der Maria ficken.“
Alle Achtung. Was Tilman Singer da als Abschlussarbeit an der KHM Köln abgeliefert hat, kann sich trotz seiner unverkennbaren No-Budget-Herkunft und der minimalen Spielfilmlaufzeit von 70 Minuten absolut sehen lassen. Naturbedingte Einschränkungen werden auf ein absolutes Minimum begrenzt, stattdessen begeistert dieser scheinbar äußerst talentierte, angehende Filmemacher durch viel Sachkenntnis, technische Fähigkeiten und ein Gespür für essentielle Dinge wie Atmosphäre, Wirkung und emotionale Nachhaltigkeit. Wo viele Blockbusterfilme zwar dick auftischen, aber rein gar nichts in der Retrospektive bereitstellen, ist so eine verstörende, noch etwas raue, aber dennoch wertvolle Perle wie Luz ein kleines Geschenk. Und ein Hoffnungsschimmer, das es irgendwo da draußen doch noch die neue Generation von fähigen Genre-Nerds gibt, die tatsächlich ihre Fantasien in die Tat umsetzen. Hoffentlich nicht nur ein Strohfeuer, denn dafür ist diese „Hausaufgabe“ viel zu gut.
Allein mit der leicht skurrilen, rätselhaften, aber faszinierenden Eröffnungsszene hat Singer einen bereits da, wo er ihn in den folgenden 70 Minuten gerne hätte. In einer Stimmung zwischen Neugier, Unbehagen, Beängstigung aber gleichwohl auch Unverständnis, was da gerade geschieht und was es zu bedeuten hat. Eine Frau betritt ein Polizeirevier. Ihre Bewegungen sind abgehackt, wirken irreal, Dawn of the Dead lässt grüßen. Nur den apathischen, desinteressierten Kerl am Empfang juckt das nicht die Bohne, während zu Carpenter’scher Musikuntermalung (der offenbar bewusst angelehnte, aber nicht anbiedernd-kopierte Score von Simon Waskow ist großartig) eine eigentlich banale, aber dennoch sehr sonderbare, beunruhigende Sequenz stattfindet. Der perfekte Auftakt für das Folgende, dominiert durch genau dieses Gefühl. Strange, creepy, ein Stückweit sogar absurd anmutend, aber gerade darin sehr unheimlich.
Andeutungen von Missbrauch (auf der katholischen Mädchenschule in Chile) und Homoerotik geistern ebenso offensichtlich wie nie konkretisiert durch das Geschehen, noch deutlicher okkulte Praktiken und schwarze Magie, aber auf nichts lässt sich Luz (klugerweise) exakt festnageln. Denn erst aus dieser nebulösen Spekulation entwickelt sich ein irgendwann wahrhaftig vernebeltes Kammerspiel. Ein dämonischer Schwebezustand, in dem die Übergänge von Realität, Illusion, Halluzination und Wahnsinn fließend sind und den Zuschauer mehrfach im Ungewissen lassen, wo er sich gerade befindet. In nur 70 Minuten mit bescheidenen Möglichkeiten offenbart Tilman Singer so viele instinktive, kreative und handwerkliche Fähigkeiten, davon können etablierte Regisseure nur träumen. Das soll kein blindes Loblied werden, denn natürlich ist Luz eine eher spezielle Erfahrung auf Independent-Niveau, aber die hier dargebotene Qualität, die potenzielle Tendenz, die Zukunftsprognose und das jetzt schon abgelieferte Produkt…das ist mehr als nur höflich zu erwähnen. In seiner Preisklasse und Erwartungshaltung: Superb. Über alles weitere sprechen wir, wenn es so weit ist.