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Die junge, schöne Chemikerin Sylvia wird urplötzlich von unheimlichen Visionen geplagt, die erschreckend real wirken. Auf einmal kommen verdrängte Erinnerungen an die Oberfläche, die sie so lange verbergen konnte. Und ihr gesamtes Umfeld scheint längst nicht mehr so harmlos und gutmütig, wie es bisher den Anschein machte…

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Warum ist der Giallo eines der spannendsten Filmgenres? Da er sich trotz eines inoffiziellen Regelkatalogs eigentlich nie richtig ausrechnen lässt und sich manchmal den gängigen Standards entzieht, obwohl er sie zum Teil wieder bedient. Klingt verwirrend? Ja, aber nicht passt besser zu dem Ausnahmebeitrag Das Parfüm der Dame in Schwarz, einem Giallo fantastico der womöglich gar nicht unbedingt als Giallo bezeichnet werden will, aber wie so oft beim (guten) Film dieses Genres, es ist nicht immer alles so eindeutig kategorisierbar, wie man meinen mag.

Grob gesagt lässt sich der Giallo auf zwei Untertypen runterbrechen (eigentlich deutlich mehr, aber gestalten wir es mal simpel): Es gibt die ruppig-sleazigen Vertreter wie Die Säge des Teufels von Sergio Martino oder Tenebre von Dario Argento, die ihren Reiz aus knüppelhartem Gore und frivoler Sexualisierung beziehen (und in direkten Vergleich mit dem US-Slasher zu setzen sind) oder die eleganteren Varianten wie Malastrana von Aldo Lado oder Das Haus der lachenden Fenster von Pupi Avati, die sich von diesem Ansatz deutlich entfernen und eher durch geschickten, mysteriösen Suspense ihre Kreise ziehen, dadurch nicht unbedingt sofort dem Genre zugeordnet werden müssen, dennoch kaum von ihm zu trennen sind. Zur letzteren Gattung zählt Das Parfüm der Dame in Schwarz von Francesco Barilli (Pensione paura), dem ersten seiner nur zwei Kinofilme, was in Anbetracht dessen außergewöhnlichen Qualität fast eine sündhaft geringe Auslastung ist. Womöglich geschuldet des eher überschaubaren Erfolgs, denn entsprechend gewürdigt wurde dieser Film seinerzeit nicht und galt über Jahre gar als fast verschollen. Das motiviert natürlich nicht besonders und generiert noch weniger Geldgeber für Folgewerke.

Sylvia (Mimsy Farmer; Vier Fliegen auf grauem Samt) ist bildhübsch, erfolgreich in ihrem Job, allseits beliebt und scheint auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, doch schnell wird klar, dass der Workaholic sich nicht aus reinem Ehrgeiz gänzlich im Arbeitsleben eingräbt. Irgendwas nagt an der jungen und offenbar so emanzipierten, unabhängigen Frau, die noch einen infantilen Mickey-Mouse-Wecker auf ihrem Nachtisch stehen hat und niemanden, selbst ihre Lover Roberto, richtig an sich ran lassen will. Nachdem bei einem Geschäftsmeeting das Gesprächsthema auf schwarzafrikanischer Mythologie und Voodoo-Hexerei wechselt, beginnt für sie ein schleichender Albtraum zwischen Wahn, plötzlich extrem bedrohlicher Wirklichkeit und immer wieder sporadisch eingestreuter Erinnerungsfetzen, die ihre vorher auch nicht richtig heile, aber zumindest post-traumatisch halbwegs erfolgreich zusammengeklebte Welt in eine schizoiden Scherbenhaufen verwandelt. Es beginnt zu bröckeln. Unterdrückte Fragmente dringen an die Oberfläche ohne zunächst einen konkreten Zusammenhang darzustellen, alles und jeder scheint ihr nun böse gesonnen, besonders die ach so harmlosen Nachbarn ihres Appartementhauses.

Barilli kreiert nicht einen Giallo-typischen Serienkiller-Film, erinnert mit seinem übernatürlich angehauchten, paranoiden Mystery-Psychothriller dafür stark an Roman Polanski’s urbane Wohnhaus-Horrortrilogie, dabei besonders an Rosemaries Baby (wie Mimsy Farmer an Mia Farrow) und sogar Der Mieter, der allerdings erst zwei Jahre später gedreht wurde. Die Protagonistin wird aus ihrem behüteten Alltag gerissen (obwohl bereits früh mehrfach angedeutet wird, dass sich in ihrer Vergangenheit ein dunkles Geheimnis verbirgt) und droht sich immer mehr in einem Strudel aus Angst und Misstrauen zu verlieren. Der Film arbeitet nicht mit schlichten Schockmomenten, stattdessen wird ein behutsamer Spannungsbogen aufgebaut, bei dem schon zu Beginn ein nicht genau greifbares Gefühl der Bedrohung im Raum steht. Selbst in an sich völlig harmlosen Momenten schwelt eine Form von latentem Unbehagen. Das Verhalten von Sylvia’s Umfeld scheint ganz normal zu sein und doch lässt sich das Geschehen oftmals auch anders interpretieren, wofür es eigentlich keinen empirischen Grund zur Annahme gibt. Langsam zieht Die Parfüm der Dame in Schwarz die Schrauben fester und lässt den Zuschauer bis zum Schluss im Unklaren, womit er es hier zu tun hat.

Wird Sylvia Opfer eines intriganten Spiels, von paranormalen Kräften heimgesucht oder spielt ihr ihre angeknackste Psyche einen bösen Streich und verwandelt ihr verdrängtes Trauma in einen selbstgeschaffenen Albtraum? Die Auflösung des Ganzen fällt dabei äußerst sonderbar aus und dürfte einige Zuschauer neben der unvermeidlichen Irritation gar verärgert zurücklassen. Francesco Barilli hat offenbar gar kein Interesse daran, eine leicht verdauliche und unmissverständliche Pointe zu präsentieren, beendet seinen Film lieber mit einem satten Magenschwinger gegen jede Form des narrativ Schlüssigen und lässt bewusst alles glasklar Verständliche außen vor. Die letzte Sequenz dürfte so ziemlich jeden verwirrt aus diesem Film herauskegeln, was unter Strich jedoch ideal zu seinem bis dahin betriebenen Spiel mit unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Deutungsprozessen passt. Am Ende sind alle irgendwie angeschmiert. Selbst wem das wirklich kein Bisschen zusagen sollte, kann kaum die formelle Brillanz bis dahin verleugnen. Vom detaillierten, akribisch ausgestatteten Set-Design, der famosen Beleuchtung, der gesamten Bildkomposition- und Sprache ist das atemberaubend. Der Weg ist beim Giallo oft das Ziel und selten war er so stimmungsvoll und dazu noch so ambivalent-clever konstruiert wie bei diesem exquisiten Ausnahme-Exemplar.

Fazit

Freunde klarer, angepasster Film-Strukturen und eindeutiger Antworten sollten „Das Parfüm der Dame in Schwarz“ besser meiden. Sogar noch mehr als die meisten Gialli, die zumindest solche parat haben, seien sie auch noch so skurril. Mit Abzug klitzekleiner Schönheitsfehler ist das hier dafür ein beinah herausragendes Stück der gelben Serie, dass sich offen an dem Masterpiece-Suspense eines Roman Polanski auf seinem Höhepunkt orientiert und dagegen nicht etwas gnadenlos abstinkt, fast und partiell auf jeden Fall sogar auf Augenhöhe agiert. Edel, wunderschön, subtil und verstörend.

Kritik: Jacko Kunze

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