Es beginnt palaktiv: In einer grellen Aneinanderreihung von Schreckensbilder werden wir Zeuge, wie ein Fluchtversuch tödlich endet. Zähnefletschende Wachhunde, durchgeladene Kalaschnikows und ein regungsloser Körper, der vorher noch mit letzter Kraft versucht hat, vom Osten in den Westen rüberzumachen. Danach beginnt die eigentliche Handlung, für die Regisseur Michael „Bully“ Herbig (Der Schuh des Manitu) auf die wahre Geschichte der Familien Strelzyk und Wetzel aus Pößneck, Thüringen, zurückgreift, denen am 16. September 1979 die Flucht nach Westdeutschland mit einem selbstgebauten Heißluftballon gelang. Eine spektakuläre, natürlich durch und durch filmreife Begebenheit, die von Disney bereits im Jahre 1982 mit Mit dem Wind nach Westen für die Leinwand aufbereitet wurde. Dass das deutsche Kino mit dem Output der Traumfabrik durchaus Schritt halten kann, möchte Ballon nun vor allem beweisen.
Jahrelang schon hat sich Herbig dafür eingesetzt, die Rechte an dem fesselnden Historienstoff zu erwerben – ohne Erfolg. Es musste erst Roland Emmerich (Independence Day) eingeschaltet werden, der den Kontakt zwischen dem Bullyparade-Urgestein und dem Mickey-Mouse-Konzern herstellen konnte. Herbig, der in seinen vorherigen Filmen schon immer seine Liebe zum Genre-Film ausleben konnte, dieses aber unter dem Deckmantel der Komödie massentauglich aufbereitete, wird in Interviews nicht müde zu erwähnen, dass es vor allem Alfred Hitchcocks Die Vögel und Steven Spielbergs Der weiße Hai gewesen sind, die für ihn die wichtigsten, niemals versiegenden Quellen der Inspiration dahingehend darstellen, das Handwerk des Filmemachers erlernt zu haben. Das merkt man nun auch Ballon an, der sein Szenario ganz und gar aus den klassischen Mechanismen des Spannungskinos speist.
Und das ist durchaus sympathisch, weil Michael Herbig hier niemals dem Anspruch erliegt, geschichtsträchtiges Relevanzkino in Szene zu setzen, sondern sich ganz und gar dem Vorhaben unterwirft (und das ist an dieser Stelle wirklich wortwörtlich zu nehmen), einen reinrassigen Thriller zu inszenieren. Das ist ihm mit Ballon auch gelungen, nur, dass es eben kein wirklich guter Thriller geworden ist. Herbigs Ägide wirkt oftmals so, als wäre er der Annahme anheim gefallen, seinem Publikum im Detail erklären zu müssen, was sich hinter dem Begriff Thriller eigentlich verbirgt. Dementsprechend groß müssen die Gesten sein, dementsprechend inbrünstig darf das Pathos überlaufen, dementsprechend altbekannt erscheint die Mechanik, mit der Herbig den Nervenkitzel angeht. Dass die Stasi den beiden Familien in Wahrheit nie wirklich auf den Fersen gewesen ist, kann man hier noch als künstlerische Freiheit abtun.
Ohnehin geht es Ballon, wie bereits erwähnt, niemals darum, ein nuanciertes Verständnis für das politische Klima innerhalb der DDR zu schaffen. Die Familien wollen fliehen, weil es ihr Drang nach Freiheit vorgibt. Dass die Republikfluch auch gewaltig nach hinten losgehen kann, hat Herbig bereits in der klischierten Eröffnung bewiesen. Mehr benötigt der Film nicht, um seine Prämisse zu grundieren und die Bedrängung, der die Strelzyks und Wetzels ausgeliefert sind, in der Theorie greifbar zu machen. Wobei, mit Friedrich Mücke (Friendship!), David Kross (Knallhart), Karoline Schuch (Schutzengel), Alicia von Rittberg (Herz aus Stahl), Thomas Kretschmann (Der Pianist) und Christian Näthe (Schule) besitzt Ballon einen überdurchschnittlich guten Cast, der sich auch über die zweistündige Laufzeit hinweg dafür ins Zeug legt, die Beklemmung der Ballonflucht von beiden Seiten adäquat zu porträtieren.
Es ist zudem auch beachtlich, wie stimmungsvoll das DDR-Kolorit rekonstruiert wurde, in dem sich Ballon abspielt. Fernab der grauen Tristesse allzu bekannter Vertreter dieses Milieus setzt Herbig zuweilen auf poppige Farben und schafft dadurch einige wirklich ausdrucksstarke Bilder, die man im deutschen Mainstream-Kino oftmals schmerzlich vermisst. Dass sich der Regisseur mit seiner stilistischen Kurskorrektur, vom Comedy-Garant zum seriösen Suspense, immer noch darauf erpicht, in erster Linie Eventkino für die breite Masse zu erschaffen, raubt Ballon natürlich mit Ansage viel von seiner (möglichen) zwischenmenschlichen Komplexität. Stattdessen gibt es Schlagworte, Allgemeinplätze, Theatralik und überspannte Dramatik. Herbig beschreibt das als dramaturgische Zugeständnisse an heutige Sehgewohnheiten. Man könnte es aber auch biederes Kalkül nennen, denn das handwerkliche Knowhow besitzt der gebürtige Münchner, um mehr abzuliefern als produktionstechnisch hochwertigen Dienst nach Vorschrift.