Das Phänomen Stephen King. Einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Gegenwart, der seit 50 Jahren unerlässlich für neuen Lesestoff sorgt und fast genauso alt ist inzwischen die erste Filmadaption eines seiner Werke. Den Anfang machte einst die Verfilmung seines Debütroman Carrie – Des Satans jüngste Tochter aus dem Jahr 1976 und seitdem nicht nur aus der Literatur, sondern auch aus der Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken. Während er bei seinen Vorlagen qualitativ relativ konstant blieb – zumindest sind die groben Aussetzer extrem rar gesät -, lässt sich das über ihre cineastischen Pendants leider nicht immer sagen. Wobei festzustellen ist, dass der Querschnitt längts nichts so schlecht ist wie oft behauptet, die miesen Beispiele erwecken nur oft den Eindruck. Und dass ein Film selten mit dessen Buchvorlage mithalten kann, ist kein King-typisches Problem, sondern liegt meistens in der Natur der Sache. Ein sehr gutes Beispiel dafür könnte auch Der Musterschüler sein, beruhend aus der gleichnamigen Kurznovelle aus der 1982 erschienene Sammlung Frühling, Sommer, Herbst und Tod, die bis dahin eine wahre Schatztruhe im Sinne der Filmversionen war. Bis dato wurden bereits Die Leiche als Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers (1986) und Pin-up als Die Verurteilten (1994) adaptiert. Beide zählen (heute) zu den besten und beliebtesten Exemplaren ihrer Art, lediglich die kürzeste Geschichte Atemtechnik hat es bisher nicht zu einem filmischen Dasein geschafft und wird es vermutlich auch nicht, außer vielleicht als Teil eines Anthologie-Konzepts.
Warum könnte Der Musterschüler nur ein sehr gutes Beispiel dafür sein, das filmische Adaption aus unvermeidlichen Gründen nicht an ihre Vorlagen heranreichen? Nun ja, das Problem ist hier in der Tat eher hausgemacht. Denn an sich ließe sich die Geschichte nahezu ideal ohne große Änderungen umsetzen und über weite Strecken scheint der Film von Regisseur Bryan Singer (X-Men - Der Film) auch auf einem sehr, sehr guten Weg zu sein. Wie auch in der Novelle wird die Geschichte von Todd (Brand Renfro, Der Klient) erzählt. Einem äußert intelligenten jungen Mann, der mit 16 Jahren schon die Abschlussklasse seiner Highschool besucht, fabelhafte Note nach Hause bringt und eigentlich das Wunschideal eines amerikanischen Teenagers darstellt. Klug, gutaussehend, sportlich und strebsam, der Traum jedes Vorstadt- und Familienidylls. Aktuell ist der Junge ganz besonders fasziniert vom Geschichtsunterricht, der Das Dritte Reich behandelt. In Eigenrecherche findet er heraus, dass es sich bei dem alten, zurückgezogen lebende Mann in seiner Straße (Ian McKellen, Der Herr der Ringe: Die Gefährten) um den gesuchten Kriegsverbrecher und KZ-Leiter Kurt Dussander handelt, der nach Kriegsende mit falscher Identität erfolgreich untertauchen konnte.
Statt den Mann den Behörden auszuliefern, offenbart Todd ihm sein Wissen und geht einen Pakt mit dem Teufel ein: sein Schweigen gegen ungefilterte, schonungslose Zeitzeugenberichte, nicht nur aus erster Hand, sondern direkt aus Täterperspektive. Zunächst widerwillig schildert Dussander ihm die Gräueltaten aus dem KZ-Alltag, doch mehr und mehr findet auch er gefallen daran, sein lange verstecktes Ich wieder zum Vorschein zu bringen. Todd verliert sich immer mehr in den grausamen Erzählungen, woran nicht nur seine Schulnoten mit der Zeit massiv leiden, sondern er auch immer mehr Charakterzüge von ihm in den Vordergrund treten, die mehr als nur bedenkliche Züge annehmen. Und gleichzeitig lieferte er sich ungewollt auch dem gerissenen Alt-Nazi aus und bald schon kippt das Machtgefälle in ihrer Zweckpartnerschafft mehr und mehr in eine Komplizenschaft, die beide gleichermaßen zu Fall bringen kann. Todd hat nicht nur ein schlafendes Monster geweckt, sondern entdeckt das eigene in ihm, welches schnell droht außer Kontrolle zu geraten. Solange der Film dicht bei der Buchvorlage bleibt, lässt sich ihm kaum ein Vorwurf machen, ganz im Gegenteil. Fast kammerspielartig wird die abgründige Kooperation, irgendwann beinah in einer Co-Abhängigkeit mündende Beziehung zwischen dem wissbegierigen Todd und dem skrupellosen Dussander aufgebaut, getragen von den beiden großartigen Hauptdarstellern.
Die vielversprechende Karriere des damals tatsächlich erst 16jährigen Brad Renfro verlief leider aufgrund seines ausufernden Drogenkonsums tragisch, er verstarb bereits 2008. Was für ein talentierter Jungdarsteller er war, ist hier ganz besonders zu sehen. Und über die Qualitäten eines Ian McKellen muss man wohl nicht mehr allzu viele Worte verlieren. Leider scheut sich der Film an einem ganz entscheidenden Punkt, dem radikalen Weg der Vorlage konsequent zu folgen und büßt dabei einiges an Potential ein. Das der jugendliche Protagonist hier drei Jahre älter ist als in Kings Novelle, ist dabei kein wirkliches Problem, obwohl das Szenario mit einer jüngeren Figur noch um einiges verstörender und beunruhigender wirkt. Das große Manko ist das stark abweichende Finale, dass die Geschehnisse nicht nur deutlich abmildert, sondern auch das Verhalten von Todd ein Stück weit entschuldigt. Zwar zeigt man ihm am Schluss als fast ebenso berechnenden Schurken wie seinen Lehrmeister, allerdings ist seine Motivation dazu nachvollziehbar. Er betreibt schlicht Selbstschutz, da er in die Enge getrieben wurde. Natürlich aus eigenem Verschulden und moralisch ist das alles andere als astrein, nachvollziehbar bleibt sein Handeln aber dennoch. Das sah im Buch noch ganz anders aus und hinterließ den Leser mit einem eiskalten Schauer auf dem Rücken. Dieses Problem werden Nichtkenner der Vorlage selbstverständlich nicht haben, aber auch so wirkt die Auflösung irgendwie unbefriedigend, da im Detail auch überhaupt nicht logisch.