Der 8. von leider nur 13 Spielfilmen (gleichzeitig sein letzter Schwarz-Weiß-Film) des großen Jean-Pierre Melville (Armee im Schatten) reiht sich nahtlos in seinen thematischen Schaffens-Schwerpunkt ein. Eine präzise strukturierte, kühl aber nicht unterkühlt ausformulierte Unterweltballade über das Leben im Schatten der Gesellschaft, den Kampf zwischen – auf dem Papier – Gut gegen Böse, der letztlich offenbart, wie schwierig es ist mit einem in die Tiefe gehenden Blickwinkel diese Grenze überhaupt definieren zu können.
Gustave „Gu“ Minda (Lino Ventura, Der Schrecken der Medusa) gelingt in dem minutenlang wortlosen Opener die Flucht aus dem Knast, doch anstatt einfach zu verschwinden sorgt er nur wenige Tage später für große Aufregung. Nach dem Unterwelt-internen Attentats-Versuch auf seine Schwester, Nachtclub-Besitzerin Manouche (Christine Fabréga, Endstation Schafott), entsorgt er die beiden Übeltäter im Wald. Was zwar gewohnt professionell, dennoch den Umständen entsprechend improvisiert von Statten gehen musst. Der mit allen Wassern gewaschene Kommissar Blot (Paul Meurisse, Die Teuflischen) ist eh schon mitten in seinen Ermittlungen und sehr erprobt darin, dass 1 und 1 meistens nicht 2 ergibt. Zumindest nicht in dem Milieu, in dem er arbeiten muss.
Die Flic-Wühlmaus gräbt sich von einer künstlich aufgeschütteten Verhör-Sackgasse zur nächsten, ist natürlich inzwischen clever genug, um sich darin nicht zu verlaufen. Niemand singt in diesen Kreisen frei- oder absichtlich, die große Kunst der Ermittlung liegt darin, die falschen Fährten sofort zu erkennen und sogar manipulieren zu können. Wenn du weißt wie der Hase läuft, versuche ihn unbemerkt in deine Richtung zu lenken. Mit Speck fängt man Mäuse, mit einem Gangster den anderen. Die haben vielleicht noch so was wie Ganovenehre, halten sich an ungeschriebene Gesetze, der eigentliche Gesetzeshüter nicht mal an die juristisch wirklich relevanten und nutzt die „romantische“ Ader seiner Gegner gnadenlos aus. Alles eine Frage von Sinn und Nutzen in einer nicht plakativ schwarz-weißen, sondern faktisch tief-grauen Realität.
Das mit 2 ½ Stunden zu üppig ausgefallene Gangsterdrama krankt nach seinem faszinierenden Auftakt sichtlich an der großzügigen Laufzeit, was speziell (genau genommen ausschließlich) in der ersten Hälfte zu einem leicht zähflüssigen, ungünstigen Erzählrhythmus führt, gerade bei einem Jean-Pierre Melville total unnötig. Geduldig war er immer, aber doch ein Meister im behutsamen, beinah sezierenden Schildern von Situationen, Abläufen und Zusammenhängen, denen es eben genau darum nicht auch nur einem Wort zu viel bedurfte. Wirklich geschwätzig ist auch dieser Film nicht, hat nur anfangs eher einen zu langen statt den titelgebenden zweiten Atem. Kann man aber alles getrost vergessen, sobald Der zweite Atem zu einem Melville wird, der sich dann kaum hinter seinen Sternstunden ernsthaft verstecken muss.
Spätestens ab dem großen Überfall und dessen fatalen Konsequenzen ist das nahezu perfektes, französisches Gangsterkino, das ganz im erprobten Stil seines Regisseurs von vornherein schon klar macht, dass die involvierten Figuren eigentlich gar keine reelle Chance haben. Sie mit offenen Augen ins Verderben laufen bzw. ihren vorherbestimmten Weg gehen müssen, obwohl ihnen dauernd logische Abweichungen geboten werden. Aber wie ein noch so tüchtiger Nichtschwimmer im offenem Meer, du gehst zwangsläufig unter, egal wie sehr du strampelst. Die bittere Melville-Note, das feine Bouquet eines ambivalenten Katz-und-Maus-Spiels, das maximal Gewinner und Verlierer kennt, aber keine greifbaren Sympathiefiguren. Und wenn lieber darin aufgeht, einem „die Falschen“ so nahe zu bringen, das es sich befremdlich richtig anfühlt.