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Inspiriert durch seine Erinnerungen an seine Jugend in Napoli erzählt Paolo Sorrentino vom heranwachsenden Fabietto, inmitten seiner derben doch herzlichen Großfamilie aufwächst und in dem sich zunehmend der Traum kristallisiert, Filmemacher werden zu wollen.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Das Erzählen des eigenen Lebens ist immer mit einem Wagnis verbunden. Reduziert man bei einer solchen Fragmentierung des Selbst das eigene Leben auf wenige Momente? Nach welchen Kriterien wählt man diese aus? Und ist die Person, die man zum Zeitpunkt, da man die Geschichte erzählt, geworden, mit der Person übereinzubringen, die man einst gewesen ist? Und wie groß ist das Maß an Ehrlichkeit, das man der eigenen Erzählung zugesteht? Es sind jene Fragen und es ist jener Konflikt zwischen dem einstigen und dem gegenwärtigen Ich, die sich bei jeder Selbsterzählung zwangsläufig stellen und die auch in jüngster Vergangenheit von Regiegrößen wie Alfonso Cuarón und Pedro Almodóvar bearbeitet wurden. Rückte Cuarón in Roma von dieser Selbstzentriertheit ab, indem er in seiner Geschichte seine ehemalige Haushälterin fokalisierte, so umarmte Almodóvar die Egozentriertheit vielmehr als Genese seines Schaffens und ließ Vergangenheit und Gegenwart wiederholt in Konversation treten. Noch extensiver machte es Joanna Hogg in ihrem The Souvenir-Zweiteiler, das gleichzeitig versuchte, eine (ihre) vergangene Liebe zu evozieren, als auch den Prozess des Erzählens in Filmform selbst zu thematisieren. In eine Reihe mit Hogg und seinen beiden spanischsprachigen Zeitgenossen darf sich nun auch der Italiener Paolo Sorrentino (La Grande Bellezza) stellen, unter finanzieller Unterstützung Netflix‘, an (s)einer intimen Ursprungsgeschichte versuchen – jener des jugendlichen Fabiettos (Filippo Scotti), der im Napoli der 1980er Jahre inmitten seiner gleichsam schrillen wie prosaischen und peinlichen wie liebenswürdigen Großfamilie aufwächst und in dem sich zunehmend die Idee kristallisiert, eines Tages Filmemacher werden zu wollen.

Der Mythos der Erzählung

Ganz, als wisse Sorrentino sehr genau um die Schwierigkeiten und Widersprüche, die die Autofiktion in sich birgt, führt er die Geschichte bewusst als Mythos ein. Jener klingt offensichtlich schon im Titel an, beruft sich Sorrentino hier doch auf die Galionsgestalt Diego Armando Maradona, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko gegen England auf bis heute unvergessene Weise den Ball mit der Hand ins Tor beförderte, ehe er das Spiel mit seinem ebenso berühmten Jahrhunderttor entschied. Jener Maradona war zwei Jahr vor dem legendenmachenden Spiel bei der Weltmeisterschaft zum S.S.C. Napoli gewechselt und hatte sich binnen kürzester Zeit zum Regionalhelden der ärmlichen Küstenstadt katapultiert. Gekonnt spielt Sorrentino mit der Mythologisierung einer solchen Figur und der Stilisierung dieses Handspiels zur „Hand Gottes“ und führt den Film mit einer vermeintlich mystischen Szene ein, in der eine der ‘Tanten‘ Fabiettos, die schöne Patrizia (Luisa Ranieri, Briefe an Julia), deren Anblick ihm das eine ums andere Mal die Sprache verschlägt, auf unverhoffte Weise Bekanntschaft mit dem sogenannten „kleinen Mönch“ macht. Diese gesichtsverhangene Figur vergreift sich in einer düsteren, fackelbeleuchteten Halle an ihr, und obwohl wir die Szene, im Gegensatz zur restlichen Familie, mitansehen müssen, fällt es doch schwer, nicht ein wenig Verständnis für den Rest der Familie aufzubringen, die der geistig instabilen Patrizia bestenfalls Wahnvorstellungen unterstelltt. Tatsächlich werden wir nie so ganz erfahren, was es mit diesem jungenhaften Mönch auf sich hat, der der schönen Tante erklärt, ihr durch seinen Griff ihres Pos jene Fruchtbarkeit zu schenken, die es ihr und ihrem impulsiven und bisweilen gewalttätigen Mann, Onkel Franco (Massimiliano Gallo, Pinocchio) endlich erlauben würde, Nachwuchs zu zeugen, auf den die ganze Famile bereits wartet.

Auf seine ganz eigene Weise changiert Sorrentino in Die Hand Gottes zwischen Genre, Tonalität und Register. Setzt er zunächst mit dieser mythischen Eingangsszene ein, so kippt die Geschichte jäh in sozialen Realismus um, als Patrizia, die ob des Vorfalls mit dem kleinen Mönchen spät nach Hause kommt, um ihr Leben fürchten muss, als ihr eifersüchtiger Mann Franco Jagd auf sie macht, um sie, den eigenen Worten nach, umzubringen. Ein Anruf bei Saverio, Fabiettos Vater (Toni Servillo, Il Divo), rettet sie vorerst aus der Bredouille und sorgt bei unserem Protagonisten Fabietto für ein Erweckungserlebnis, als er die aufgelöste Patrizia und ihre eine durch den heruntergerutschten Träger offengelegte Brust anstarrt – das bekannte Madonna-Motiv. Der Mythos ist bei Sorrentino niemals fern und scheint sich aus jeder Situation speisen zu können, er stilisiert und inspiriert und initiiert – immer in der Lage, das Alltägliche ins Göttliche zu überführen. Und was, so fragt es Fabietto an seine Eltern gerichtet, ja was wäre eigentlich, wenn Tante Patrizia wirklich dem kleinen Mönch begegnet sei?

Anfangs jedoch, nachdem man Patrizia auf dem Motorroller vor dem Jähzorn Onkel Francos befreit, wagt sich Sorrentino an einer zotigen Familienkomödie, deren Witz sich bisweilen an der Feststellung genügt, dass es in Fabiettos Familie eine schwer adipöse Tante (oder Oma?) gibt, die nicht auf ihre extra-sahnige Burrata verzichten kann, oder dass gewisse Familienangehörige als so wenig attraktiv gelten, dass man sich, um keine Lästerei verlegen, in offener Runde fragt, wie jene Schwester nur einen Mann habe finden können. Oder dass jener verschwägerte Mann nur wenig später, beim ersten Aufeinandertreffen mit der Großfamilie, unfreiwillig selbst für allgemeines Gelächter sorgt, da er zum Sprechen einen Tongenerator benötigt. Ungemein vulgär kommt dieser Abschnitt daher und ist retrospektiv kaum mit der tragischen Coming-of-Age-Geschichte zu vereinbaren, in die Sorrentinos Die Hand Gottes, auf Basis seiner eigenen Familiengeschichte, mündet. Doch das Vulgäre selbst, so scheint ist, existiert nicht bloß für den Klamauk, spiegeln sich in ihm doch die Umgangsformen einer Arbeiter*innenfamilie, innerhalb derer das, was lustig gemeint ist, nicht immer lustig und das, was traurig anmutet, nicht immer traurig ist. Das Eigentliche des Moments, die schroffen Umgangsformen und der grelle Humor, dienen hier vor allem dazu, das Uneigentliche, die familiären Umgangsformen, zu vermitteln, die Fabiettos Aufwachsen prägen. Eine Familie, die sich gleichzeitig als Kommunisten versteht (,was Vater Saverio dann wiederholt als Grund dafür anführt, warum man sich nicht einen neueren Fernseher mit Fernbedienung kaufe,) die aber gleichzeitig in allerlei Ganovereien verstrickt ist, eine Familie, die sich mit hämischer Freude boshafte Streiche spielt, die im Härtefall allerdings ein nicht für möglich gehaltenes Zugehörigkeitsgefühl ausstrahlt.

Niemals, so hört es Fabietto eines Tages von der alleinstehenden, alten Baroness, wisse man wirklich, was in den Häusern anderer Leute so vor sich gehe. Sorrentino allerdings versucht sich genau daran, und gibt uns dadurch vielleicht sogar einen Blick auf das größere Ganze in Napoli während dieser Zeit. Eine Zeit, in der Fabiettto im Fußballstadion des SSC einen charmanten Zigarettenschmuggler wiedererkennt, den er einst auf einem Motorboot vor der Polizei hat fliehen sehen; eine Zeit, da die Familie gemeinsam Tomatensauce kochte und in Flaschen abfüllte, derer eine ob der Hitze mit lautem Knall explodiert und in der Familie zuerst die Furcht vor einem Pistolenschuss weckt; eine Zeit, da Federico Fellini, in seiner Spätphase selbst längst schon zum Mythos geworden, ankündigt, einen Film in der Arbeiter*innenstadt zu drehen; in der die ganze Stadt erst ungläubig, dann sehnsüchtig auf die Ankunft Maradonnas wartet, dessen Omnipräsenz jedwedes anderes Thema an den Ränder des Diskurses verschiebt.

Hin und wieder droht Sorrentino, ein bisschen an der Erwartbarkeit der Bilder zu ersticken, erwartbar zumindest für jene, die sich einmal rudimentär mit dem der italienischen Küstenstadt beschäftigt hat. Dem gegenüber stellt er allerdings das Thema der Mythologisierung, die per definitionem mit der Gebrochenheit und der Überhöhung auseinandersetzt. Mit zunehmender Laufzeit rückt Sorrentino zudem die eigene Vetreterfigur Fabietto in den Mittelpunkt der Geschichte, erzählt von Schicksalsschlägen und ersten Malen und seiner einsetzenden Leidenschaft für den Film und das Geschichtenerzählen. Eine Mentorfigur, deren Gunst er sich durch Hartnäckigkeit erarbeitet, sagt er eines Tages in jugendlicher Kurzsicht, er wolle nicht von traurigen Dingen erzählen, woraufhin ihm dieser erwidert: „Dann gibt es nichts, worüber zu reden ist“. Sorrentino hat sich mit Die Hand Gottes an diese Maxime gehalten, und wenngleich der Film bisweilen überladen wirkt, sodass er mit zunehmender Dauer etwas ausfranst, steht Sorrentino diese persöhnliche Herangehensweise ausgesprochen gut.

Fazit

Mit Die Hand Gottes zeigt sich Sorrentino ungemein versatil, erzählt intim wie großflächig, derb wie zart und poetisch wie prosaisch. Einzig der Umstand, dass es ihm nicht durchweg gelingt, seine überbordenden Themen in eine übergeordnete Form zu bringen, hält Die Hand Gottes davon ab, der ganz groß Wurf zu sein.   

Kritik: Patrick Fey

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