„Wenn du vorgeladen wirst, gehst du lebend rein und tot wieder raus. Und es ist meistens dein bester Freund, der das erledigt.“
Mitte der 70er Jahre gelang es FBI-Agent Joseph D. Pistone sich unter dem Decknamen Donnie Brasco in den inneren Kreis der New Yorker Mafia-Familie Bonanno einzuschleusen. Nach 6 Jahren führte dies zu 120 Verurteilungen, bis heute einer der größten Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen in den USA. Seine Erfahrungen verarbeitete Pistone in dem 1990 erschienenen Buch Donnie Brasco: My Undercover Life in the Mafia, welches als Grundlage für diesen Spielfilm des Briten Mike Newell (Vier Hochzeiten und ein Todesfall) diente.
In der falschen Haut des kleinkriminellen, abgekochten Juwelenspezialisten Donnie Brasco knüpft Pistone (Johnny Depp; Black Mass) Kontakt zum in die Jahre gekommenen Mafia-Laufburschen Benjamin „Lefty“ Ruggiero (Al Pacino; Heat). Seit 30 Jahren erledigt Lefty zuverlässig die Drecksarbeit für die Familie, ohne auf der Karriereleiter entscheidend aufzusteigen. Stattdessen muss er seit Jahrzehnten zusehen, wie immer ein jüngerer, aggressiverer Platzhirsch neben ihm aus dem Boden schießt, der sich an ihm vorbeidrängelt. Zuverlässig steht er parat, wenn mal wieder ein schmutziger Job erledigt werden muss, als Dankeschön wird er müde belächelt und mit Brotkrumen anstelle eines Stücks vom großen Kuchen abgespeist. Notorisch knapp bei Kasse und schrecklich frustriert nimmt er den smarten, aber sichtlich unerfahrenen Donnie unter seine Fittiche und bürgt sogar für ihn vor seinen Bossen. Nicht nur weil er sein hohes Potenzial erkennt, viel mehr da Donnie zu ihm aufschauen zu scheint, für seine endlosen Weisheiten ein offenes Ohr hat und schnell zu einer Art Ersatzsohn wird, da sein eigen Fleisch und Blut nur ein hoffnungsloser Junkie ist, den er längst innerlich abgeschrieben hat. Endlich scheint Lefty nicht nur der alte Sack fürs Grobe zu sein, sondern ein Mentor. Ohne zu ahnen, dass er sich damit langsam sein eigenes Grab schaufelt.
Inszenatorisch weitestgehend sachlich bis unspektakulär mutet Donnie Brasco wie eine nüchterne, faktentreue Wiedergabe der realen Ereignisse an. Ganz so ist es nicht, denn Mike Newell fokussiert sich eindeutig auf die Beziehung seiner beiden Hauptfiguren und das massive Identitäts- und Loyalitätsdilemma welches damit einhergeht. Während die berufliche Mission von Joe a.k.a. Donnie viel besser verläuft als erwartet, verliert er sich immer mehr in seinem Alter Ego und kann bald schon nicht mehr eine gesunde Distanz zwischen dem FBI-Agenten und Familienvater wie dem angehenden Mobster Donnie aufrechterhalten. Naturgemäß müssen die Grenzen bei diesem Ritt auf der Rasierklinge partiell verwischen, aber der Weg zurück wird immer schwieriger. Er wird zum Verräter an allen Fronten. Unterwandert die Mafia äußerst erfolgreich, gleichzeitig distanziert er sich zusehend von seiner Frau und seinem eigentlichen Brötchengeber, für den er nur eine Schachfigur ist. Ganz gegensätzlich verläuft die Beziehung zu Lefty, den er immer mehr ins Herz schließt, wohlwissend, dass er ihn für den Erfolg der Mission nicht nur missbrauchen muss, sondern final wahrscheinlich sogar dessen Todesurteil unterschreibt.
Aus seinem schlüssigen, glaubhaft konstruierten Zwiespalt zieht Donnie Brasco seine größte Qualität, unmittelbar gekoppelt an die beiden Protagonisten. Johnny Depp (zu seiner seriösen Zeit, war das noch schön) weiß seine Figur und deren schrittweisen Wandel jederzeit nachvollziehbar und ohne großes Brimborium zu verkörpern, nimmt sich vielleicht sogar ein stückweit zurück, um Al Pacino die Bühne zu geben, die er berechtigt – und ebenfalls angenehm gedrosselt - annimmt. Besonders Pacino hat im Gangsterfilmgenre bereits die gesamte Palette abgeliefert. In der Trilogie von Der Pate das zunächst unfreiwillig in die Stammhalter-Rolle gedrängte Nesthäkchen, das sich zum eiskalten Patriarchen mausert und später zum gebrochenen Greis wird. In Scarface als aufbrausender Proleten-Hitzkopf, der sich vom Tellerwäscher zum Koks-Papst und Ego-Maniac katapultiert, um wie Ikarus an der der Sonne zu schmelzen. Oder in Carlito’s Way als geläuterter Frührentner, der sich nicht aus seinem Umfeld freistrampeln konnte. Nun ist er das arme Würstchen im billigen Altkleidercontainer-Outfit, da schon alles gesehen und erlebt hat, ohne davon zu profitieren und immer noch wie ein Greenhorn um etwas Wertschätzung bettelt. Diese tragische Vater-Sohn- und Brutus-Dolchstoß-Geschichte ist es, die alle großen Momente des Films kompromisslos für sich beansprucht. Mit Recht.
Obwohl der Film mit den erlösenden Worten „Komm Joe, wir gehen nach Hause“ die Story um Joe Pistone versöhnlich abschließt, die finale, die wichtige Szene spielt sich eigentlich vorher ab. Lefty, der mit all seinem erlernten Anstand nicht mit dem Schicksal hadert, sondern es wie ein echter Wise Guy hinnimmt. Wie ein Mann von Ehre. Seine spärlichen Wertsachen ablegt, sich von seiner Lebensgefährtin beruhigend, unaufgeregt verabschiedet und einfach kurz nochmal weg muss. Ein würdevoller Abgang.