6.5

MB-Kritik

Ein ganzes Leben 2023

Drama

6.5

Stefan Górski
August Zirner
Ivan Gustafik
Andreas Lust
Julia Franz Richter
Maria Hofstätter
Marianne Sägebrecht
Robert Stadlober
Thomas Schubert
Lukas Walcher
Gerhard Kasal
Wolfgang Oliver
Hannes Perkmann
Robert Reinagl
Matthias Saffert

Inhalt

Die österreichischen Alpen um 1900. Niemand weiß genau, wie alt der Waisenjunge Andreas Egger ist, als er ins Tal auf den Hof vom Kranzstocker (Andreas Lust) kommt. Dem gottesfürchtigen, aber gewalttätigen Bauern taugt er allenfalls als billige Hilfskraft. Allein die alte Ahnl (Marianne Sägebrecht) bringt ihm etwas Fürsorge entgegen. Als sie stirbt, hält den inzwischen erwachsenen Egger (Stefan Gorski) nichts mehr zurück. Strotzend vor Kraft und Entschlossenheit schließt er sich einem Arbeitstrupp an, der eine der ersten Seilbahnen baut, die auch Elektrizität und Touristen ins Tal bringen soll. Mit seinem Ersparten pachtet Egger vom Wirt (Robert Stadlober) eine schlichte Holzhütte hoch oben in den Bergen, wo er sich und seiner großen Liebe Marie (Julia Franz Richter) ein Zuhause schafft. Doch das gemeinsame Glück ist nur von kurzer Dauer. Der Zweite Weltkrieg bricht aus, Egger wird einberufen, gerät in sowjetische Gefangenschaft und kehrt erst viele Jahre später ins Tal zurück. Dort ist Marie noch ein letztes Mal ganz nah bei ihm und der alte Egger (August Zirner) blickt mit Staunen auf die Jahre, die hinter ihm liegen …

Kritik

Wortkarge Männer, die es nach einer harten Jugend raus in die Natur zieht, wo sie sich als kernige Kerle eine Hütte - vorzugsweise mit Blick auf Gebirgspanorama - errichten und dort als Selbstversorger die Weltgeschichte vorbeiziehen lassen, bevölkerten die Leinwand bereits in Acht Berge, Märzengrund und Der Fuchs. Aus denen scheint Hans Steinbichlers (Hannes) Einzelgänger-Epos ein dramaturgisches Derivat, obwohl Robert Seethalers (Ewige Jugend) erfolgreiche Romanvorlage bereits 2014 erschien. Die erhabenen Szenerien beschwören große Emotionen, doch versanden zwischen Kunsthandwerk und Klischee. 

Zweites überwiegt besonders in der einem Prolog gleichenden Kinderzeit des Hauptcharakters, dessen Schicksalsroman grob in drei Kapitel zerfällt. Um die Jahrhundertwende kommt Andreas als Waise auf den Hof des mit ihm entfernt verwandten Großbauern Kranzstocker (Andreas Lust, Nord Nord Mord). Zuwendung erfährt er nur von der Großmutter (Marianne Sägebrecht, Schmucklos) der vier leiblichen Kinder, während sein sadistischer Ziehvater ihn ausbeutet, schikaniert und misshandelt. Ungeachtet seiner dadurch erlittenen Gehbehinderung wird er als junger Mann (Stefan Gorski, Steirerstern) zum schier unverwüstlichen Schwerarbeiter.

Gedankenwelt, Wünsche und Ziele des verschlossenen Protagonisten, der sich einzig in einer liebevollen, doch tragisch früh beendeten Ehe mit Wirtsmagd Marie (Julia Franz Richter, Rubikon) emotional öffnet, bleiben im Dunkeln. Dem Fortschritt, der in Form einer Seilbahn und Elektrizität in den idyllisch anmutenden Alpenschauplatz vordringt, begegnet er so pragmatisch wie den politischen Umbrüchen während der Weltkriege. Die Landschaft um ihn verändert sich, Andreas nicht - ob zum Guten oder Schlechten, scheint der Regisseur selbst nicht zu wissen. 

Fazit

In eindrucksvollen, doch generischen Naturaufnahmen entfaltet Hans Steinbichler die fiktive Biografie einer fast ein Jahrhundert währenden Arbeiterexistenz, die Momente von Glück unendlich flüchtig sind, Schmerz, Trauer und Leid hingegen überdauern. Ob das Fazit dieses bitteren, doch durch die lichte Farbpalette und Musik niemals schwermütigen Befunds Akzeptanz, Aufbegehren oder Aufbruch sein soll, bleibt unklar. Gleiches gilt für die schwammige Fortschritts- und Religionskritik in diesem schauspielerisch soliden, psychologische opaken Lebensbild, dessen Dialoge papieren wie die Vorlage klingen.

Autor: Lida Bach
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