Liest man sich die Synopsis von Express in die Hölle durch, möchte man automatisch eine Verbindung zu Jan de Bonts High-Concept-Klassiker Speed (1994) oder auch Tony Scotts Unstoppable (2010) herstellen, gehören zu den Topoi der ersten amerikanischen Produktion des exilierten Russen Andrey Konchalovskiy (Tango & Cash) doch zuvorderst augenscheinlich die berauschende Geschwindigkeit sowie die zermürbenden Mittel, um diese zu kontrollieren. Man würde Express in die Hölle jedoch Unrecht tun, reduziert man ihn schlicht auf seine adrenalingeladene Prämisse, vollstreckt Konchalovskiy hier doch etwas Außergewöhnliches, betrachtet man den Fundus der Cannon-Studios etwas genauer: Er transzendiert das Action-Genre nicht durch parodistische Anleihen, sondern durch die überraschend effektive Philosophie, die in das Fundament des zu oft übergangenen Meisterwerks gemeißelt wurde.
Zu Anfang rasen rot-schwarz abstrahierte Silhouetten eines Zuges im Hintergrund der Credits durch das Bild. Die Richtung wird hier bereits vorgegeben, denn Express in die Hölle legt seinen Vektorraum immer nach vorne aus, allerdings macht dieses Opening simultan dazu deutlich, dass das Tempo, der Lärm, die Anspannung nicht den Vordergrund der Erzählung einnehmen, es sind die Charaktere, die als tonangebendes Element definiert werden. Unsere erste Haltestelle ist Stonehaven, ein Hochsicherheitsgefängnis, hermetisch abgeriegelt durch das ewige Eis Alaskas. Ein Ort der Entmenschlichung: Gefängnisdirektor Warden Ranken (John P. Ryan, Jimmy Hoffa) jedenfalls sieht in den Häftlingen nur wilde Tiere, die es niemals verdienen werden, wieder einen Fuß in die Freiheit zu setzen. Tiere, denen man Rechte und Würde aberkennen muss, damit sie merken, welch Abschaum sie darstellen.
Unter den Inhaftierten befinden sich Buck (Eric Roberts, The Expendables), ein Jungspund, der vielleicht nicht sonderlich viel im Kopf hat, aber mutig ist, wie Express in die Hölle noch beweisen wird, und der beinahe sagenumwobene Manny (Jon Voight, Sterben ist jeder der Erste), ein prädestinierter Leitwolf, der die Bewunderung seiner Mithäftlinge und die Verachtung der Wärter auf seiner Seite weiß. Mannys einschüchternde Präsenz macht ihn zu einem der Typen, die in der Gesellschaft immer als Sündenbock herhalten müssen, im reglementierten Mikrokosmos des Gefängnisses aber Zeug haben, zweifelhafte Karriere zu machen. Diese beiden Charaktere, deren Persönlichkeitsstrukturen von Beginn an offensichtlich divergieren, werden zum Dreh- und Angelpunkt einer Reise in die nebulöse Auffassung von Freiheit: Denn was macht diese Freiheit aus, von der sich jeder anmaßt zu sprechen?
Genau diese Frage und deren Aushandlung sind es, die Andrey Konchalovskiys Duktus katalytisch antreiben. Haben sich Buck und Manny erst einmal aus dem Staub gemacht und durch die klirrende Kälte der alaskanischen Weiten gekämpft, um sich im Führerstand eines Zuges zu verschanzen, der aus vier schweren Diesellokomotiven besteht, bricht sie los, die existenzialistische Erkundungsreise ins Herz der Menschlichkeit. Ohne Zweifel funktioniert Express in die Hölle ebenfalls blendend als Hochgeschwindigkeitskino, immer auf den pulsierenden Spannungsmoment ausgelegt, doch seine wahre Kraft destilliert der Film aus dem Facettenreichtum der Protagonisten: Beide haben sie Träume, beide sind sie sich jedoch auch im Klaren darüber, dass es nahezu unmöglich wird, diese Träume umzusetzen. Vielleicht nicht zuletzt, weil sich die mantraartigen Tiraden des Aufsehers nicht unwesentlich in ihre Köpfe eingehämmert haben.
Tatsächlich fächert Express in die Hölle als philosophischer Diskurs über die Bedeutung individueller Freiheit eine solche Melancholie auf, dass es irgendwann wahrlich im Herzen schmerzt, dieser Odyssee, basierend auf Schienen, die direkt in die Ewigkeit führen, beizuwohnen. Denn wer sagt, dass die Ewigkeit auch äquivalent zur Erlösung steht? Vielleicht hat Ranken Recht, wenn er Manny als Tier beschimpft, ist es doch der unbändige Freiheitsdrang, die Unmöglichkeit, in Gefangenschaft zu existieren, die ihn bewegt. Doch Manny weiß, dass das Leben für ihn keine Zuflucht im Kreis Gleichgesinnter bereithält, kein Rudel, in dessen Schoß er Einkehr finden kann. Ihm ist bewusst, dass er sich nicht anpassen kann, egal, wie sehr er es sich auch wünscht. Dort liegt seine Tragik, dort findet er sein Ebenbild in der unbarmherzigen Natur, die das urzeitlich grölende Monstrum von Dieselzug von beiden Seiten säumt und Manny noch verschlingen wird. Vielleicht aus dem Grund, weil es seine Bestimmung ist.