Ein Anruf. Die letzten Worte durch die geschlossene Tür der Dusche gehen im Rauschen des Wassers unter. Noch bevor es offiziell ist erahnen wir als Zuschauer schon, dieser Moment wird entscheidend sein. Der entgangenen Information wird unser Protagonist – der amerikanische Chirurg Richard Walker (Harrison Ford, Jäger des verlorenen Schatzes) - panisch, hilf- und orientierungslos hinterher hecheln. Auf der Suche nach seiner innerhalb weniger Minuten aus dem Hotelzimmer verschwundenen Frau Sondra (Bett Buckley, Carrie – Des Satans jüngste Tochter); in einem Land, dessen Sprache er nicht versteht; in einer Stadt, die er nicht (mehr) kennt oder zumindest nicht wiedererkennt. Paris ist ohne die 20 Jahre alte, rose-rote Flitterwochenbrille nicht mehr die romantischste Metropole der Welt, nur noch ein rätselhaftes, verwinkeltes Labyrinth durch die Unterwelt, voll gleichgültiger, wenig hilfreicher Vertreter von Recht und Ordnung.
Eine damals schon lebende Legende verneigt sich ehrfürchtig vor einer bereits verschiedenen, aber natürlich unsterblichen. Roman Polanski (Chinatown) wandelt nicht nur auf den Spuren von Alfred Hitchcock (Im Schatten des Zweifels), er unterwirft seinen eigenen Film als komplette Hommage demMeister, geht damit sogar weiter als der ewige Hitch-Fanboy Brian De Palma (Der Tod kommt zweimal). Dies beginnt schon beim Titel: Frantic klingt nicht nur ähnlich wie der vorletzte Hichtcock Frenzy, beide benennen sie das vorherrschende Thema, den immer greifbaren Gemütszustand. Nicht wahnsinnig, sondern verzweifelt, rastlos irrt ein nicht nur wie (einst) gewohnt von Charisma übersprudelnder Harrison Ford durch Paris – mal barfuß, wenn es die Situation erfordert sogar splitterfasernackt -, klammert sich an jeden noch so kleinen Indizien-Strohhalm, dessen wichtigste Spur (ganz klassisch) ein Streichholzbriefchen darstellt. Aus dem Nichts wird ein völlig unschuldiger Mann aus der besseren Gesellschaftsschicht – kultiviert, gebildet und im weitesten Sinne Zeit seines Lebens absolut sorgenfrei – in eine Geschichte involviert, die ihn anfangs heillos überfordert und an die Grenzen seiner eigenen Vorstellungskraft und Selbstwahrnehmung befördert.
Vor noch wenigen Stunden wäre praktisch alles undenkbar gewesen, was er nun instinktiv und angetrieben von purer Fokussierung auf sein Ziel vollbringt. Er wird nie wieder derjenige sein, der er sein ganzes Leben war. Mehr Hitchcock geht kaum. Inhaltlich am ehesten dran an dem doppelten Hitch-Berger Der Mann, der zuviel wusste. Die plötzliche Entführung von Frau/Familie als Druckmittel, obwohl der Protagonist sich gar nicht wirklich bewusst ist, was dieses genau sein soll. Polanski lässt den Zuschauer wie seine Hauptfigur geduldig und mit der Abgeklärtheit eines nicht der Hektik verfallenen Geschichtenerzählers an der langen Leine. Entwickelt ein behutsam aufgebautes, elegant ausformuliertes Suspense-Kino, das sich Step by Step steigert, ohne jemals richtig auf die Tube drücken zu müssen und den Weg lieber als cineastisch-verliebte Sightseeing-Tour genießt, als alles auf das vordergründige Ziel zu setzen. Die wahre Stärke von Frantic ist nicht unbedingt im eigentlichen Plot zu suchen, zumindest nicht in dessen Originalität oder der (nicht sonderlich) überraschenden, spektakulären Auflösung. Wäre der typische Hitchcock-Macguffin nicht ohnehin schon vorhanden, man könnte die Handlung fast als solchen begreifen. Insgeheim soll er es vielleicht sogar sein, was nur ein weiterer Verweis auf das Schaffen des Meisters wäre (siehe Berüchtigt).
Frantic kopiert nie direkt seine zahlreichen Vorbilder, schlängelt sich dagegen voller Ehrfurcht an Momenten und Assoziation-Fetzen entlang. Mal deutlicher, wie in einer schwindelerregende Szene über den Dächern von Paris mit latenter Absturzgefahr, mal subversiver wie in dem gehetzten Aufwärtsmarsch durch das Treppenaus eines Parkdecks. Vertigo – Aus dem Reich der Toten scheint es Polanski (verständlich) besonders angetan zu haben. Wie die katzengleiche Emmanuelle Seigner (Bitter Moon), quasi seine Grace Kelly (Das Fenster zum Hof), nur mit dem Unterschied, dass seine Muse und Objekt der Begierde im realen Leben nicht nur ein sehnsüchtiger Traum blieb. Eine weitere, wenn auch diesmal wirklich unabsichtliche Parallele. Sie in ihrer betörenden Art und der famose Harrison Ford werden als Couple wider Willen im Rausch von Ennio Morricone und Grace Jones dahingetrieben, durch die magischen Hände von Polanski und im Geiste des alten Alfred. Auf seine Art sehr sinnlich, mit der versteckten Romantik, die diesem Paris mit voller Absicht genommen wird.