Beim Blick auf seine Vita fällt auf: So viele Filme hat Sam Peckinpah (Steiner- Das eiserne Kreuz) gar nicht gedreht. Es waren schon einige, aber für einen Regisseur, dessen Name unausweichlich gekoppelt ist an den ganz radikalen Flügel des New Hollywood-Kinos, doch relativ wenige. Natürlich ging er 1984 mit nicht mal 60 Jahren viel zu früh von uns, seinen Karrierehöhepunkt schien er aber damals auch schon überschritten zu haben. Seine letzten Arbeiten hatten nicht mehr ganz dieses wilde, revolutionäre und selbstverständlich auch höchst kontroverse Feuer, wodurch er zu einem der interessantesten wie streitbarsten Filmemacher seiner Zeit wurde. Ob dies nur ein leichtes Zwischentief war (keines diese Werke ist misslungen, es fehlt nur dieses gewisse Etwas) werden wir leider nie erfahren, doch was zweifellos feststellt: Streitbare, unbequeme Typen wie er, egal wie man zu seinem bewusst diskussionsschaffenden und äußerst provokanten Lebenswerk steht, sind für das Kino immer wichtig und werden heutzutage schmerzlich vermisst. Essentiell bei seiner stärksten Phase, beginnend mit The Wild Bunch – Sie kannten sein Gesetz (1969) und ausklingend mit Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia (1974), aus dessen goldenen Mitte sich vielleicht sein bester Film erhebt: The Getaway.
„Sie werden wiederkommen“ prophezeit ein Gefängniswärter Doc McCoy (Steve McQueen, Gesprengte Ketten) bei dessen Entlassung trocken im Vorbeigehen und sicher weiß Doc, dass dies vermutlich zutreffen wird. Wegen schwerem, bewaffnetem Raubüberfalls inhaftiert kommt er nach 4 Jahren wegen angeblich guter Führung früher auf freien Fuß, aber jemand wie er ist nicht gerade der Vorzeige-Rehabilitierte. Eine Hand wäscht die andere und seine radikale Haftverkürzung hat nur einen Grund: Der korrupte Politiker Beynon (Ben Johnson, Hängt ihn höher) lässt seinen Einfluss spielen. Warum? Er will den Vollblut-Dieb für einen Banküberfall haben und obwohl sich Doc lange diesem verlockenden Angebot wiedersetzt hat, nun kann und will er nicht mehr. Denn da draußen wartet sie. Sein Ehefrau Carol (was für eine Frau: Ali MacGraw, Convoy), nach der er sich sehnsüchtig verzehrt und die den notwendigen Kontakt zu Beynon herstellt, damit sie sich kurz danach endlich wieder in die Arme schließen können.
Doch der Knast – und vor allem die Einsicht, wie abhängig er von Carol ist - scheint den harten Hund McCoy in seiner Männlichkeit leicht angeknackst zu haben. Er ist natürlich kein Stubentiger geworden und sobald es um das Berufliche geht ist er auf den Punkt bereit, aber in den intimen Momenten der Zweisamkeit zeigt er sich ungewohnt verletzlich, angreifbar, sensibel. Ganz weit weg von dem Bild, was man bei einem Steve McQueen in einem Film von Sam Peckinpah nach einem Drehbuch von Walter Hill (Die letzten Amerikaner) erwartet. Viel Testosteron-gesteuerter kann ein Film bei dem Dreigestirn der puren Manneskraft ja kaum sein, da verwundert The Getaway zunächst leicht, um in der Folgezeit gerade mit diesem Image wild Kettenkarussell zu fahren. Die leichte Romantik wird an die Wand geworfen und stirbt einen qualvollen Tod, als der Coup (natürlich) zu einem Worst-Case-Szenario wird und besonders McCoy auf die ganz harte Tour feststellen muss, dass in dieser Welt nichts umsonst ist und auch an seinem Freifahrtschein ein wesentlich höheres Preisschild hing, welches Carol bereit war zu zahlen.
Mit massiven Folgen, denn während um sie herum nicht ohnehin schon alles vor die Hunde geht und droht in Gewalt und Chaos zu ersticken, werden sie auf einmal nicht mehr als eine Zweckgemeinschaft, die nur aus Überlebensinstinkt noch zusammenarbeiten muss. Gejagt von der Justiz, von ihrem wütenden Auftraggeber und dem mit Blei vollgepumpten, zum Verrecken liegen gelassenen Handlanger, der von den Toten auferstanden ist und wie ein soziopathischer Bluthund die Fährte verfolgt, ist auch ihre Liebe nicht mehr einen stumpfen Pfifferling wert. Die Roadmovie-Outlaw-Romanze, sie ist dahin. Jede Zuwendung ist verbitterten Schuldzuweisungen gewichen. Und mit genau dieser Wut, dieser Angriffslust im Bauch ätzt Sam Peckinpah ungehemmt und mit der gewohnt radikalen Eruptionsfreude munter drauf los. Da wird scharf geschossen. Links, rechts, gegen alles und jeden und natürlich auch mit dieser wuchtigen Streitsucht im Gepäck, die mal wieder zu einigen Aufschreien und Fragen geführt haben dürfte, wenn auch vielleicht nicht so vehement wie ein Jahr zuvor bei der berühmt-berüchtigten Vergewaltigung/Lust-Kontroverse in Wer Gewalt sät.
Nach einem vorgegaukelten Schimmer am Horizont – eine zweite Chance, die Wiedervereinigung zweier Liebenden, der mögliche Ruhestand in Reichweite (wenn auch durch ein Verbrechen hervorgerufen, welches im Idealfall aber ohne Gewaltopfer stattfinden sollte) - wird alles mit so einem Impact und für den sonst sehr Showdown-fixierten Peckinpah ungewöhnlich früh zerstört, dass sich die zweite Hälfte von The Getaway anfühlt wie ein Schlagbohrer mit Salzlake, der sich unermüdlich und mit sadistischer Wonne immer wieder in die gleiche, offene Wunde schraubt. Peckinpah zeigt bewusst das Hässlichste im Menschen. All die Missgunst, die Gier, die Niedertracht. Den Treppenwitz von einem Land, das sich Moral und Ethik ganz fett auf die Fahne schreibt und wo gleichzeitig die notwendigen Einbruchsutensilien und noch schlimmer auch geladene, großkalibrige Feuerwaffen wie Kaugummi über der Tresen gehen und nur halbherzig nachgefragt wird, was denn Sinn und Zweck davon sein soll. Als wenn es wen ernsthaft interessiert. So zu tun als ob, damit ist jetzt Schluss.
Männer sind gewaltbereite, in ihrer Ehre so leicht verwundbare, ungestüme Bastarde. Frauen manipulative, ihre gottgegebenen Reize als Waffen einsetzende, sich dem Rudelführer an den Hals werfende Luder, wie sollte es auch anders sein? Die Misogynie-Debatte à la Peckinpah wird dankend angenommen, aber gleichzeitig entwaffnet, da niemand in dieser an Zynismus und Verrohung ersaufenden Geschichte – egal ob Männlein oder Weiblein – besser wegkommt. Sie verwenden ihre Möglichkeiten und die armen Teufel, die noch an das glauben was ihnen der Werte und Normen-Unterricht vorgegeben hat und die sich versehentlich in dieses Schreckensszenario verirrt haben, baumeln früher oder später überm Klo. The Getaway ist neben seiner Funktion als hochspannende, knüppelharte und exzellent arrangierte Gangster-Heist-Roadmovie-Ballade ein giftiges Klagelied über den Verfall und die Doppelmoral einer Gesellschaft. Die sich mit biederen Werten brüstet und doch etwas ganz anderes vorlebt. Das ist ein Frontalangriff auf alle Moralapostel und Besserwisser, der seinen Hohn genüsslich mit der großen Kelle über diejenigen verteilt, die ihn vermutlich deswegen wieder als gewaltverherrlichenden, sexistischen Müll verteufeln wollten. Ein aufregendes, wildes Fuck You vom einem rüden, aber dahinter wesentlichen klügeren Anecker, als allgemein behauptet wird.