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Quelle: themoviedb.org

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Während eines rassistisch motivierten Amoklaufs im hessischen Hanau tötet Tobias R. am 19.02.2020 neun Bürger, seine Mutter und dann sich selbst. Die eigenen Worte seines Manifestes deuten auf schwere psychische Probleme hin. Dieses Psychogramm eines Massenmörders zeigt, wie der zurückgezogene Tobias R. sich durch Fake News und Verblendung jahrelang radikalisierte, bevor es zur Katastrophe kam.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Kaum zu glauben: Seit dem Abschluss seiner Rampage-Trilogie im Jahr 2016 hat Deutschlands vielleicht umstrittenster Filmemacher Uwe Boll (Postal) kein neues Werk mehr abgeliefert. Dabei drehte er doch zuvor oft mehrere Filme pro Jahr. Grund dafür - so Boll – seien die großen Schwierigkeiten für ihn, weiterhin Budgets für seine Projekte zu generieren. Der Heimkinomarkt für physische Medien ging immer weiter zurück und große Studios oder Filmförderungen machten aufgrund seines zweifelhaften Rufs ohnehin immer einen weiten Bogen um ihn. Es schien tatsächlich so, als hätte der von der Filmkritik meist belächelte, von einem harten Kern des Publikums aber wegen seiner direkten, unangepassten und höchst unterhaltsamen Art in Formaten wie Interviews oder Podcasts unglaublich wertgeschätzte Mann nach seiner Rückkehr von Kanada nach Deutschland endgültig die Flinte ins Korn geworfen. Bis er sich 2020 mit einer Ankündigung zurückmeldete, die sofort hohe Wellen schlug.

Sein Comeback soll direkt eine neue Trilogie namens „Deutschland im Winter“ sein, die sich aus ganz aktuellem Anlass mit der zunehmenden Gewalt und dem in der Gesellschaft immer größer werdenden Zuspruch des Rechtsextremismus befasst. Für den Auftakt hat sich der gebürtige Wermelskirchener die Verfilmung eines Vorfalls herausgesucht, der zu diesem Zeitpunkt erst wenige Wochen zurücklag. Am 19. Februar 2020 erschoss der psychisch schwer gestörte und von allerhand kruden Verschwörungstheorien besessene, 43jährige Hanauer Tobias Rathjen in einer Shisha-Lounge, einer Bar, auf offener Straße und einem Kiosk insgesamt 9 Menschen und verletzte mindestens fünf weitere zum Teil lebensgefährlich. Alle Opfer hatten Migrationshintergrund und die Tat war eindeutig rechtsextremistisch motiviert, wie auch durch die später sichergestellte Schriften und selbstgedrehten Aufzeichnungen des Täters ersichtlich wurde. Im Anschluss fuhr Rathjen in sein Elternhaus, erschoss seine 72jährige Mutter und richtet sich danach selbst.

In einem offenen Brief forderten die Stadt Hanau sowie die Angehörigen der Opfer Boll auf, Abstand von dem Projekt zu nehmen. Offenbar war er im Vorfeld gar nicht an sie herangetreten und sie sahen „die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen, deren Pietätsempfinden und die fortwirkende Menschenwürde der Verstorbenen“ bedroht. Davon ließ sich Uwe Boll nicht beeindruckend und stand zu seiner Idee, doch die Umsetzung gestaltete sich auch unabhängig vom Aufschrei der Betroffenen als schwierig. Es fanden sich kaum Geldgeber und kein Verleih wollte den Film zunächst vertreiben. Mit sehr wenigen Mitteln gelang es Boll wenigstens, den Film abzudrehen, wobei er natürlich deutlich kleinere Brötchen backen musste als bei seinen vorherigen Produktionen. Ende letzten Jahres wurde nach langem Hin und Her schließlich bekannt, das Hanau durch Tiberius jetzt doch noch einen Vertrieb gefunden hatte und Anfang 2022 zumindest als VoD und auf DVD- und Blu-ray veröffentlicht werden würde. Ein Kraftakt von Uwe Boll, dem völlig losgelöst von der letztendlichen Qualität des Films definitiv ein großes Maß an Anerkennung gegenüberzubringen ist. Nur wenige hätten sich unter diesen widrigen Bedingungen so für dieses Projekt eingesetzt.

Und auch am eigentlichen Film lässt sich eine Sache finden, die man lobend hervorheben sollte, da gerade diese ihm ja nach der Bekanntmachung mehr oder weniger direkt unterstellt wurde: Hanau ist – man mag es kaum glauben – tatsächlich nicht reißerisch oder pietätlos. Boll ist es nicht daran gelegen, die tragischen Vorfälle für einen gewaltgeilen Actionkracher zu missbrauchen und er hält sich rigoros an Fakten. Künstlerische Freiheit nimmt er sich praktisch überhaupt nicht heraus. So stammen alle im Film verwendeten Monologe des Täters aus dessen selbstverfassten Manifest. So weit, so gut – aber genau das dadurch automatisch leider nicht. Denn nur, da man Boll hier keine Verunglimpfung oder Ausbeutung der Tatsachen vorwerfen kann und er glaubhaft vermittelt, dass sein Film sich klar von der abstoßenden Ideologie des Tobias R. distanziert, kommt dabei im Umkehrschluss kein wichtiger, kein guter oder auch nur ein halbwegs akzeptabler Film bei raus.

Hanau spielt nur an jenem 19. Februar und wird (fast) ausschließlich aus Täterperspektive erzählt. Ein Vorgehen, dass sich grundsätzlich zumindest schon mal kritisch hinterfragen ließe. So verzichtete der Film Utøya 22. Juli damals bewusst darauf, den damaligen Attentäter Anders Behring Breivik auch nur einmal zu zeigen, geschweige denn seinen widerwärtigen Gedanken und dem abscheulichen Menschenbild in irgendeiner Form eine Bühne zu geben. Boll macht wiederum ganz gezielt das nicht. Er lässt den von Co-Autor Steffen Mennekes (Siegburg) verkörperten Rathjen ungefiltert dessen absurden wie menschenverachtenden Thesen dem Publikum ins Gesicht schleudern. Damit will er ihn entlarven; ihn bloßstellen. Die Gefährlichkeit eines solchen Menschen aufzeigen, der sich trotz bekannter, schwerer psychischer Probleme nicht nur auf freiem Fuß, sondern auch noch im legalen Besitz eines Waffenscheins befand. Ob das jetzt falsch oder richtig ist, darüber lässt sich sicherlich länger diskutieren und jede Seite dürfte dafür die entsprechenden Pros und Contras finden. Bei Hanau ist es nicht die Motivation und die Herangehensweise an das Thema, es ist die leider völlig indiskutable Umsetzung, mit der sich Uwe Boll mal wieder selbst ein Bein stellt und sich eben auch (abermals) entlarvt: als einen Filmemacher, der zwar große Leidenschaft mitbringt, aber offensichtlich nicht über das notwendige Talent verfügt.

Bei einer Lauflänge von 78 Minuten verbringt Hanau fast eine Dreiviertelstunde damit, sich ausschließlich mit den krankhaften Ausführungen seines Täters zu beschäftigen. Diese lässt er in Selbstgesprächen oder besser gesagt „Dialogen“ mit dem in seinen Wahnvorstellungen gedankenlesenden Agent Schmitt vom Stapel. Mal in seiner bzw. der elterlichen Wohnung, mal vor dem Badezimmerspiegel, mal während der Autofahrt. 45 Minuten. Das lässt zwar tief blicken, nur hätte man das genau so auch in 5 bis 10 Minuten machen können, da sich der ganze Blödsinn sowieso andauernd wiederholt. Und so bietet man dem „Schaffen“ des Täters dann doch viel zu viel Bühne. Ja, wir sollen verstehen was in ihm vorgeht und was seine Motivation war, aber wir müssen doch nicht möglichst viel von diesem Stuss eingetrichtert bekommen, damit der gewünschte Effekt eintritt. Mehr passiert in dieser gesamten ersten Hälfte (oder genau genommen 2/3, aber dazu gleich noch) nicht. Es ist schwer erträglich. Und das eben nicht (nur) wegen den Unfassbarkeiten, mit denen man hier verbal malträtiert wird.

Die folgende Viertelstunde widmet sich Boll dann dem tatsächlichen Anschlag. Zeigt, wie Rathjen die Tatorte aufsucht und explizit auch, wie er seine Opfer richtet. Das ist in seiner Schonungslosigkeit und Brutalität sogar angemessen; das kann man so machen, ohne – wie bereits lobend erwähnt – reißerisch zu erscheinen. Ein Problem bleibt dabei aber: Wir kennen die Opfer überhaupt nicht. Sie werden vorher nicht eingeführt, haben (für uns in dem Moment) keine Namen, keine Hintergründe. Es sind zwar Menschen, die vor unseren Augen grausam hingerichtet werden, aber es fehlt uns der emotionale Bezug. Wie gesagt, dass wollte Boll so bewusst und entgeht damit ja auch den von den Angehörigen im Vorfeld geäußertem Vorwurf der Pietätlosigkeit irgendwie, nur als Zuschauer bleibt man so natürlich auch vollkommen auf Distanz. Sieht zu, aber fühlt wenig. Lediglich die letzten Minuten zwischen Mutter und Sohn, (fast) das einzige Mal, dass der Hauptdarsteller mal einen „echte“ Dialog mit einem anderen Menschen führen darf, holen den Zuschauer für einen kurzen Moment aus diese kühlen, beinah emotionslosen Beobachterposition.

Nach 60 Minuten ist der ganz Spuk vorbei. Und jetzt? Keine Ahnung was sich Uwe Boll dabei gedacht hat oder ob er erst beim Schnitt festgestellt hat, dass das für ein ursprünglich sogar als Kinofilm angedachtes Werk deutlich zu wenig ist. Plötzlich tritt er selbst vor die Kamera und führt uns die nächsten 12 Minuten an die realen Schauplätze. Und erzählt uns da ernsthaft noch mal das, was wir gerade eben doch schon gesehen haben. Wenn er hier nochmal irgendwelche anderen und neuen Erkenntnisse auf den Tisch bringen oder Interviews mit Betroffenen führen würde. Oder wenigstens mal auf die Tatsache näher eingehen würde, warum die Polizei an jenem Abend nicht erreichbar war, was vermutlich einigen Menschen mehr das Leben kostete. Das wird abgetan mit dem üblichen Satz vom Totalversagen der Verantwortlichen, der interessanten Frage auf den Grund zu gehen, warum das denn so war, darauf kommt Uwe Boll nicht. So ist dieser Part nicht nur in seiner Existenz ziemlich irritierend, er ist vor allem komplett überflüssig und es beschleicht sich das unangenehme Gefühl, da sollte schlicht Zeit mit überbrückt werden. Gleiches trifft leider auch auf die letzten Minuten des Films zu, in denen die Namen aller Todesopfer von rechtsextremer Gewalt seit 1990 in Deutschland eingeblendet werden. Ja, es soll ihnen zum Gedenken sein und auf die Vielzahl solcher Taten hinweisen, aber auch dass nimmt letztlich vermutlich nur die dringend benötigte Zeit von der Uhr. Am Ende fragt man sich, wie um alles in der Welt man jemals glauben konnte, dass irgendjemand so was in der Form allen Ernstes in Kino bringen sollte. Und das von jemanden, der schon so lange im Geschäft ist.

Fazit

Bei aller Achtung für das Engagement von Uwe Boll, die schwierigen Umstände der Realisierung seines Herzensprojektes und seiner glaubhaften Intention, ein Statement gegen rechte Gewalt und Verschwörungs-Geschwurbel-Bullshit zu setzen: „Hanau“ ist filmisch ein absoluter Totalausfall. Es reicht halt nicht, sich akribisch an Fakten und Abläufe zu klammern und die dann stumpf auf das Publikum zu feuern. So kann man vielleicht eine Dokumentation machen, aber auch die muss am Ende ja auch was zu berichten haben. Es kann angenommen werden, dass ein Großteil des Publikums durch diesen Film rein gar nichts erfährt, was es ohnehin schon über den Fall wusste. Das reicht einfach hinten und vorne nicht für einen vollständigen Film und am Ende fühlt man sich ehrlich gesagt ziemlich verschaukelt.

Kritik: Jacko Kunze

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