MB-Kritik

I, the Song 2024

Tandin Bidha
Tshering Dorji
Jimmie Wangyal
Sonam Lhamo
Dorji Wangdi

Inhalt

In Bhutan, einem Land mit 700.000 Einwohnern, kennt jeder jeden. Nima, eine Lehrerin, gerät in Schwierigkeiten, als im Internet ein explizites, intimes Video auftaucht, in dem eine Frau zu sehen ist, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht. Entschlossen, die empörten Eltern ihrer Schüler zu beruhigen, macht sich Nima auf die Suche.

Kritik

Eine anderweltliche Atmosphäre zwischen Melancholie und Mystik, wie sie bereits Dechen Roders (Honeygiver Among The Dogs) eindrucksvollen Spielfilm-Debüts Honeygiver Among the Dogs atmete, bestimmt auch das nicht minder fesselnde zweite Werk der bhutanischen Regisseurin. Ihr die selbstverfasstes Drehbuch eröffnet erneut einen enigmatischen Einblick in Sozialgefüge und Spiritualität ihres Heimatlandes. Dessen Kultur und Kunstszene prägt auf mythischer und mehr noch musikalischer Ebene die hintergründige Handlung, in der Gesang und Gespenster die zurückhaltende Protagonistin in doppeltem Sinn zu sich selbst führen. 

Dieses alternative Ich begegnet Schullehrerin Nima (Tandin Bidha) erstmals in Gestalt des abgelehntes Anderen. Eine ihr täuschend ähnliche Frau in einem erotischen Online-Clip, der Anlass ihrer sofortigen Entlassung wird. Schon dieses Ausgangsszenario etabliert neben der beiläufig enthüllten Intoleranz und prüden Doppelmoral, die dem naiven Image des Landes so fern sind wie die von der jungen Heldin erkundeten schummerigen Musik-Bars die faszinierende Farb- und Lichtdramaturgie. In ihr versinkt Nima auf der Suche nach der gespenstischen Doppelgängerin. 

Mit ihrem Pulp-Fiction-Haarschnitt, sinnlichen Temperament und intuitivem Tanz, der ihren Ex-Freund und charismatischen Musiker Tandin (Jimmy Wangyal Tshering) fesselt, wirkt Meto (ebenfalls Bidha) wie eine provokative Phantasie in einer sexuell und emotional repressiven Umgebung, geprägt von Traditionalismus und Moralismus. Ob sie ein Geist ist, eine reale (Seelen)Schwester oder Personifikation von Nima verdrängter non-konformer Begierden, belässt die illusorische Inszenierung bewusst im Vagen. In der traumwandlerischen Szenerie verliert sich der parabolische Plot genauso wie sein Figurenpaar.

Fazit

Das ausgeklügelte Spiel mit Komplementären und Kontrasten auf äußerlicher, farblicher, musikalischer und emotionaler Ebene entfaltet verleiht der verschlungenen Story Dechen Roders Mystery-Romanze eine surreale Sogkraft. Eine innovative Mischung traditioneller und moderner Songs trägt das geisterhafte Geschehen von einem rationalen in einen assoziativen Kosmos, indem Sinneseindrücke bedeutsamer sind als greifbare Dinge und Kontinuität. Kultureller Reichtum und religiöser Reaktionismus definieren das unterliegende Spannungsfeld jener darstellerisch und dramaturgisch gleichsam intuitiven Vision, deren Überlänge den atmosphärischen Reiz kaum mindert.

Autor: Lida Bach
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