„Ich hab dir etwas von dem aromatischen, holländischen Tabak besorgt, den du so magst.“
Aha, vielleicht liegt es daran. Kreiste beim Dreh (bzw. schon bei der Planung) von „Das Phantom der Oper“ auch das ein oder andere Pfeifchen mit holländischem Zauberkraut oder was war da los? Bei seinem zweiten filmischen Ausflug in die Welt der Oper, 11 Jahre nach seinem bestialischen Giallo „Opera“, versuchte sich Dario Argento („Tenebre“) erstmals an einem vielfach für Film und Bühne adaptierten Klassiker der Literatur: Gaston Leroux’s Welterfolg „Das Phantom der Oper“. Ein ambitioniertes und mit großen Risiken einhergehendes Vorhaben, schließlich sollte Argento nicht nur seinen Fans wie der Vorlage gerecht werden (was er offenbar gar nicht vorhatte), nun musste er sich mehr oder weniger an direkter Konkurrenz messen lassen und als wäre das nicht genug, durfte er mit mehr Budget hantieren als je zuvor. Selbst wohlwollend und mit zumindest Respekt vor dem Mut, seine ganz eigene Interpretation (wenn man es überhaupt noch so nennen kann) einer weltberühmten Geschichte auf die Beine zu stellen, kann man dieses Projekt nur als kolossal gescheitert betrachten.
Dass der Film ein kommerzieller Flop wurde, desaströse Kritiken einheimste und selbst bei beinharten Argento-Fans (die bis dahin nur mit „Trauma“ massiv enttäuscht wurden) größtenteils durchfiel, ist kaum verwunderlich. Keiner der potenziellen Zielgruppen wird mit diesem abstrusen, semi-opulent verschluderten Budenzauber in seinen Erwartungen abgeholt, das richtige Publikum für „Das Phantom der Oper“ à la Argento gibt es eigentlich nicht. Für dogmatische Verfechter der Vorlage ein satter Tritt in den Arsch, für Freunde der experimentellen, beeindruckenden Todesfantasien von Argento’s bisherigen Arbeiten fast ein selbstgedrehtes Spoof-Movie. Im Idealfall nimmt man die Chose mit Humor, grölt bei urkomischen Textzeilen („Du wirst heute Abend nicht singen! Sonst hast du nichts mehr von deinen Brüsten!“), chargierenden Darstellern nah an der Schmerzgrenze und völlig deplatziert wirkenden, dafür massiv brutalen Gore-Szenen munter drauflos, das Potenzial kann und will man diesem konfusen Blödsinn kaum aberkennen. Nur so lässt sich das Ganze irgendwie durchstehen, aber ob man dazu bereit ist und das als solches akzeptieren möchte, das muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Mit der ursprünglichen Geschichte hat das hier Gebotene nur noch rudimentär zu tun. Gewisse Eckpfeiler sind vorhanden, je weiter alles fortschreitet gehen Argento endgültig – ob bewusst oder nicht - die Gäule durch. An Details soll sich gar nicht aufgehangen werden, ob das Phantom (Julien Sands, „Warlock – Satans Sohn“) nun entstellt ist oder nicht ist total schnuppe und selbstverständlich sind gerade bei einem so oft umgesetzten Stoff eine individuelle Note, neue Ansätze sogar vollkommen richtig. Selbst wenn die Handlung kaum dabei kaum Koheränz besitzt und lose mit eigenen Einfällen und denen des Originals wirr hantiert, dass würde bei einem Argento in Topform nicht stören. Seine besten Arbeiten darauf zu sezieren machte schon keinen Sinn, die hatten dafür diese sensationelle Inszenierung, das Gefühl für die Stimmung und den Moment. Hier gibt es einige Szenen, die in der gewohnten Art ähnlich hervorstechen könnten. Man stelle sich mal die Sequenzen in den unterirdischen Katakomben im Stil von z.B. „Inferno“ vor. Ob der einstige Meister darauf absichtlich verzichtete, um ein breiteres Publikum abzuholen oder er gar nicht erst auf die Idee gekommen ist, lässt sich nur spekulieren. Der ganze Machart des Films distanziert sich deutlich von der seiner bisherigen Werken, will so was ähnliches wie großes Kino sein und ist de facto nur eine grenzdebile Trashparade.
„Das Phantom der Oper“ wird in Argento’s Händen zur Geschichte von Ratten-Mogli („Ich bin kein Phantom. Ich bin eine Ratte.“), der durch die Gewölbe der Pariser Oper geistert, auf dessen Dach merkwürdig-bizarre bis ultra-kitschige Visionen schiebt, Zungen abbeißt, dicken Frauen die Hupen zerkratzt und natürlich auch des Regisseurs Töchterlein Asia Argento („The Mother of Tears“) mal wieder nach Herzenslust böckeln darf, das Vater-Tochter-Verhältnis im Hause Argento ist – mal so von außen beurteilt – ziemlich bedenklich. Ist nichts Neues, aber immer wieder verwunderlich. Ungeniert taumelt dieses Chaos zwischen (unter diesen Verhältnissen) pompöser Neuauflage, wilder Splatter-Show, waghalsiger Unverschämtheit und immer mal zu erkennender, absichtlicher Karikatur, was ihm nicht zwingend gut tut. Für das Universum von „Das Phantom der Oper“ist der Argento-Film so was wie die 60er-„Batman“-Serie, nur viel brutaler, deutlich weniger witzig und charmant. Spätestens wenn die schimmeligen Kammerjäger mit ihrem Ratmobil zur großen Aufräumaktion durch die Gewölbe knattern zwingt sich dieser Eindruck förmlich auf.