Mit nur 27 Jahren beendete "Nirvana"-Frontmann Kurt Cobain im Jahr 1994 sein Leben schlagartig, indem er sich mit einer Schrotflinte in den Kopf schoss. Mit seinem Tod wurde der sogenannte "Club 27" ins Leben gerufen, eine Liste von Musikern, die alle im Alter von 27 starben und zu denen Künstler wie Jimi Hendrix, Amy Winehouse oder Jim Morrison zählen. Der extrem hohe Einfluss, den Cobain hinterließ, ist nichtsdestotrotz bis heute in den Köpfen der Menschen präsent. Ob es das markante Erscheinungsbild des Sängers ist, dessen weiches Gesicht und himmelblaue Augen kaum zur rauen Stimme passen wollen. Oder Textzeilen aus "Smells Like Teen Spirit", welche selbst diejenigen laut mitsingen können, die nicht einmal ausgewiesen Fans der Band waren. Oder das Platten-Cover von "Nevermind", auf dem das Baby unter Wasser auf den Geldschein am Angelhaken zuschwimmt.
In Cobain: Montage of Heck beleuchtet Regisseur Brett Morgen (Crossfire Hurricane) den Mythos "Kurt Cobain", seinen Status als gebrandmarktes Scheidungskind, künstlerisch begabter Junge, früher Drogenjunkie, musikalische Ikone, von der Welt gefeierter Rockstar, liebevoller Vater und schlussendlich tragisches Idol, das eine ganze Generation rebellischer Jugendlicher geprägt hat. Dabei wird von Anfang an schnell deutlich, dass diese Dokumentation zwar chronologisch angelegt ist, sich stilistisch aber kaum bremsen lässt und vor wilden Ideen nur so überquillt. Mit dem Einverständis von Cobains engsten Familienangehörigen erhielt Morgen Zugriff auf tonnenweise Material des Musikers, darunter extrem private Home-Videos, persönliche Notizen, Skizzen oder Zeichnungen, Stimmaufnahmen, aber auch ein unveröffentlichtes Mixtape sowie Demotapes.
Außergewöhnlich wird Cobain: Montage of Heck aber nicht nur durch die alleinige Existenz dieses Materials, das der breiten Öffentlichkeit nun erstmals zugänglich gemacht wird, sondern aufgrund der beeindruckenden Machart der Dokumentation und der Art und Weise, mit der Morgen das unterschiedliche Material virtuos, überwältigend und berauschend zu einem völlig eigenständigen Kunstwerk formt. Zunächst beginnt der Film noch recht gewöhnlich, zeigt grobkörnige Aufnahmen von Kurt als kleinen Jungen, der alle um sich herum verzaubert und eine unbändige Energie besitzt, während in Interviews parallel immer wieder Familienmitglieder wie seine Mutter oder sein Vater zu Wort kommen. Spätestens in den Teenager-Jahren verändert sich der Stil der Dokumentation allerdings schlagartig. Extra animierte Trickfilm-Sequenzen, wilde Montagen, in denen Songs der Band über zahlreiche Popkultur-Schnipsel gelegt werden, Zeilen auf Notizzetteln, die dynamisch zum Leben erwachen und viele weitere Stilmittel sorgen dafür, dass Morgen nicht nur ein umfassender Einblick in das Leben des Künstlers gelingt, sondern darüber hinaus ein Zugang in den Kopf von Kurt Cobain.
Die sprunghafte, chaotische Inszenierung ist voll und ganz dem von Drogen geplagten, künstlerisch brodelnden und von Hyperaktivität sowie Depressionen durchsetzten Wesen des Musikers nachempfunden. Durch diesen faszinierenden Erzählkniff gelingt es Morgen, dass seine Dokumentation trotz der üppigen Laufzeit von über zwei Stunden nie eintönig, geradlinig oder auch nur ansatzweise langweilig wird. Ganz wunderbar gelöst ist zudem der Umgang mit dem Tod selbst, der zwar unausweichlich die gesamte Dauer über im Hinterkopf des Betrachters schwebt, aber nie in den Vordergrund gestellt und schließlich kurz vor dem Abspann mit einer fast schon ignoranten Beiläufigkeit in Form einer knappen Texteinblendung abgehandelt wird. So steht im Mittelpunkt von Cobain: Montage of Heck nicht der tragische Suizid eines ikonischen Rockstars, sondern ein vielschichtiger, facettenreicher Einblick in das turbulente, sicherlich auch schwierige Leben eines Künstlers, differenziert erzählt und mit wahnsinniger Kunstfertigkeit umgesetzt.