Bergsteigen gehört definitiv zu Recht in die Kategorie Extremsport, wenn man bedenkt, welchen Gefahren und Naturgewalten sich die Bergsteiger aussetzen. Neben diesem Faktor ist der Mensch selbst oft das größte Problem, denn er unterschätzt die Gefahren und überschätzt sein eigenes Können. Gemessen an dem Verhältnis der erfolgreichen Besteigungen zu den Todesfällen, weist die Annapurna (ja, das Femininum ist richtig, denn der Berg ist nach der indischen Göttin für Ernte und Nahrung benannt) die höchste Todesrate weltweit auf. Nur Wenige schaffen es, den Gipfel des 8091 m hohen Berges zu erklimmen, da am zehnthöchsten Berg der Welt eine extrem hohe Lawinengefahr besteht, die die Besteigung so gefährlich macht. Dieser Berg steht im Zentrum des spanischen Films Beyond the Summit von Ibon Cormenzana (Culpa), der definitiv mit seinen herausragenden Naturaufnahmen glänzen kann.
Ein weiterer Pluspunkt sind die Kletterszenen der beiden Protagonisten, die ziemlich gut gelungen sind. Problematisch ist hingegen die Figurenzeichnung. Beide Hauptfiguren sind recht oberflächlich dargestellt und man versteht kaum ihre Motive und auch die sich nach und nach entwickelnde Bindung ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Dabei ist die Handlung an sich durchaus spannend und Cormenzana schafft es, ebenso problemlos Höhepunkte einzubauen und dem Film ein spannendes und zugleich emotionales Finale zu verpassen, dennoch fehlt es gerade bei den Figuren an einer gewissen Tiefe, die Beyond the Summit zu einem guten bis sehr guten Film gemacht hätten. Am ehesten kann man Mateo (Javier Rey, Geheime Anfänge) verstehen. Als unerfahrener Bergsteiger macht er sich in der Wintersaison, der denkbar ungeeignetsten Zeit, auf, um die Annapurna zu erklimmen. Schon bevor er überhaupt die Basisstation erreicht, fällt er eine Felskante hinunter und wird dort von Ione (Patricia López Arnaiz, Die geheime Tochter) gefunden, die sich nun um ihn kümmert.
Während man nach und nach erfährt, aus welchem emotionalen Anlass sich Mateo auf den Weg gemacht hat, bleibt es bis zum Ende unklar, warum Ione hier einsiedlerisch lebt. Mateos Charakter erschließt sich zwar und sein Handeln kann oft mit seiner Emotionalität und seiner Unerfahrenheit begründet werden, jedoch merkt man ihm gerade diese Emotionalität zu selten an, jedenfalls in den ersten beiden Dritteln des Films. Es kann aber durchaus als Kunstgriff des Drehbuchs verstanden werden, die Zuschauer noch etwas im Unklaren zu lassen, auch wenn man natürlich die wahren Beweggründe ab einem bestimmten Zeitpunkt erahnen kann. Ione dagegen bleibt ein Rätsel. Eigentlich lebt sie zurückgezogen und ist nicht erfreut, als Mateo plötzlich bei ihr auftaucht. Sie würde ihn gern so schnell wie möglich loswerden, um in Selbstmitleid zu zerfließen. Dennoch ist sie auf die Hilfe anderer angewiesen, denn in ihrer gewählten Selbstisolation kann sie sich nicht allein mit Nahrung versorgen.
Ihre Lethargie begründet der Film schlicht damit, dass sie die schnellste war, die alle vierzehn 8000er-Gipfel erklommen und nun offensichtlich keine Ziele mehr in ihrem Leben hat. Eigentlich wirkt Ione aber, als würde sie vor etwas weglaufen. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die sich zurückziehen, weil sie auf der Suche nach sich selbst und einer neuen Motivation im Leben sind, aber der Figur der Ione kann man ein solches „Sabbatical“ nicht abnehmen. Gerade für Bergsteiger gibt es unzählige Herausforderungen. Dafür erwacht ihr Lebensmut später recht schnell, als sie die Motivation von Mateo erfährt. Hier hätte mehr Background der Figur definitiv nicht geschadet. Etwas merkwürdig ist auch die Beziehung der beiden zueinander. Von „Verschwinde so schnell wie möglich“ zu „Ich helfe dir deine Mission zu erfüllen“ und darüber hinaus geht es sehr schnell. Mehr Drama, mehr Emotionalität und mehr Tiefgang hätten dem an sich gelungen Film gutgetan.