Mit seinem 2001 veröffentlichten und zwei Jahre später unter gleichem Titel äußerst erfolgreich verfilmten Debütroman Herr Lehmann bewies Element of Crime-Frontmann Sven Regener, dass er auch auf dem literarischen Parkett eine gute Figur macht. Der Auftakt einer Reihe lose miteinander verbundenen Folgewerke (so auch Neue Vahr Süd), die 2014 in Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt mündete. Besagter Karl Schmidt war schon in Herr Lehmann als bester Freund des Protagonisten eine wichtige Nebenfigur, die am Ende wegen psychischen Problemen eingewiesen werden musste.
Gut fünf Jahre sind seitdem vergangen, wir schreiben irgendwas Mitte der 90er. Karl Schmidt (Charly Hübner, Lindenberg! Mach dein Ding) lebt inzwischen in einer Drogen-Entzugs-WG in Hamburg Altona, geleitet von dem rigorosen Sozialarbeiter Werner (Bjarne Mädel, Faking Bullshit – Krimineller als die Polizei erlaubt!). Kaffee und Kippen sind als einzige Rauschmittel geduldet und werden im exzessiven Überfluss konsumiert, alles andere ist strikt untersagt. Karl hat sich damit recht gut arrangiert. Geht gewissenhaft seinem Hausmeisterjob in einem Kinderheim nach und ist darum bemüht seine immer wieder aufkeimenden, depressiv-psychotischen Schübe unter Kontrolle zu halten. Als er wegen zu viel Resturlaub in Zwangspause geschickt wird, hat Werner bereits ein gut durchstrukturiertes Programm für ihn festgelegt. Wassertreten und Entspannungsübungen in der Lüneburger Heide, bloß keine Aufregung oder Verlockungen von außen. Ausgerechnet jetzt klingelt sein alter Kumpel Ferdi (Detlev Buck, der bei Herr Lehmann selbst noch den Karl Schmidt spielte) bei ihm an.
Der Techno-Boom der 90er hat es gut gemeint mit Ferdi und seinem Selfmade-Label BUMM BUMM RECORDS. Plötzlich haben sie richtige Chartplatzierungen, er und seine ziemlich zerschallerten DJ-Kollegen verdienen mit den durchgefeierten Nächten absurd viel Geld und wissen eigentlich gar nicht, wie ihnen geschieht. Da kommt Ferdi die ziemlich sinnfreie Idee einer Teambuilding-Maßnahme ganz im Sinne der Beatles. Sie starten ihre eigene Magical Mystery Tour quer durch die Clubs der Republik, deren Höhepunkt auf der Springtime (a.k.a Mayday) in Dortmund stattfinden soll. Ihr alter Kumpel Karl ist als einzig Nüchterner perfekt geeignet für die Rolle des Fahrers und Koordinators, damit die Odyssee der Verpeilten nicht bereits auf halben Wege auf irgendeiner After Hour hoffnungslos versackt. Gepackt vom Geist der alten Tage, genervt von der Langeweile des Therapie-Gefängnisses oder als eine Art Generalprobe für die eigene Nervenstärke: Es ist wohl eine Mischung aus alldem, weshalb Karl statt in die niedersächsische Provinz den Zug nach Berlin besteigt und sich als psychisch immer noch Labiler die Rolle des Reiseleiters und Hirtens einer nicht zu kontrollierenden Herde von schon längst hoffnungslos hängengebliebenen Turntable-Schäfchen einem persönlichen Härtetest unterzieht.
Ab geht die wilde Fahrt, stetig begleitet von der einstigen Peaktime-Granate ROCKER von ALTER EGO. Wie die gesamte Musik im Film ein einziger Anachronismus, denn kaum einen der zahlreichen, verwendete Tracks hat es zur damaligen Zeit bereits gegeben. Wir sind irgendwo in den 90ern, als noch überall hemmungslos gequarzt wurde und Mobiltelefone futuristische Luxusgüter mit Totschlägerqualitäten waren. Aber das spielt so gesehen überhaupt keine Rolle, denn bestimmt weiß auch keine der Figuren, welchen Tag, Monat oder sogar welches Jahr wir schreiben. Tag- und Nachtrhythmus dürften sich schon vor Jahren verabschiedet haben, es gibt nur Abriss, After, Chill Out und Koma, dazwischen findet irgendwas statt, durch das man zwangsläufig durchschwankt. Wenn es am Ende und gleichzeitigen - somit in Wahrheit endlosen – Anfang wieder im Club verläuft, ist doch alles prima. Das sie durch ihre Passion nun aus unerfindlichen Gründen auch noch Leben können, ist dem so gesehen eigentlich nicht förderlich, aber für den Moment saugeil. Spätfolgen sind für nach dem Stromausfall.
Wer bei Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt einen ambitioniert durchexerzierten Plot und tiefergehende Charakterisierungen sucht, der kann am Ende gerne den Rest nach Hause fahren, perfekt dafür geeignet. Sven Regener – der seinen Roman selbst zum Drehbuch adaptierte – und der durch zahleiche TV-Sternstunde bekannte Regisseur Arne Feldhusen (Der Tatortreiniger) finden bei seiner erst zweiten Kinoarbeit (nach Stromberg: Der Film) einen harmonischen Konsens. Befreit von jeglicher Prätention will der Film gar nicht mehr sein als ein entspanntes Road-Movie mit durchaus überspitztem, dennoch sehr wohl authentischem Stallgeruch, der dem Ganzen nicht mehr künstlicher Notwendigkeit andichtet, als es anderweitig vielleicht als wichtig betrachtet wird. Das hat etwas Lässiges, etwas angenehm Zwangloses und ist in ausgewählten Situationen sogar verdammt komisch (die Mülleimer-Bestattung an der Autobahn-Raststätte ist famos). Der Film besitzt, passend zu seiner nicht krampfhaft-korrekten zeitlichen Einordnung, dennoch eine Form von generationsübergreifender Relevanz und im Kleinen gut beobachteten Details. Wie hier die Techno-Szene (teilweise sehr treffend) sowohl parodiert als auch dokumentiert wird - ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen-, könnte es auch genauso auf jedwede andere, zeitaktuelle und eben rebellisch-planlose Bewegung übertragen werden. Am Ende ist man plötzlich wieder zuhause. Die einen wissen gar nicht, wie sie da hingekommen sind, der eine hat sie und sich da sehr bewusst hingefahren. Für ihn ist es vielleicht ein Neuanfang. Für sie geht nur schon wieder die Sonne viel zu früh auf.