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Quelle: themoviedb.org

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Inhalt

Ausgelassenes Treiben auf der Picknickwiese in Mülheim a. d. Ruhr. Die Eltern haben ihre alten Naziuniformen wieder rausgekramt. Da macht die Polonaise noch mehr Spaß. Die Mama gibt das Startzeichen für eine außergewöhnliche militärische Vorführung. Sohn Joe wird aus dem Schlaf gerissen. Aber wird er verstehen, was sie mit ihm vorhaben? Wird er sich dem brutalen Kampf der Systeme wiedersetzen können? Klappt der Austausch von Sperma? Wird Joe das rohe menschliche Gehirn essen? Joe scheint verloren. Sein Weg führt in einen verlassenen Schacht der Zeche Rosendelle, wo sich ein Versuchslabor befindet. Während draußen noch die Schritte der Eltern verhallen, verweigert Joe die Nahrungsaufnahme, wird operiert und kann trotzdem fliehen. Die Sache gerät in Bewegung ...

Kritik

Der deutsche Filmemacher Christoph Schlingensief (Co-Regie bei 00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter) war nie einem breiten Publikum bekannt - und dennoch nimmt das Schaffen des 2010 im Alter von fünfzig Jahren verstorbenen Filmemachers einen wohl singulären Platz in der deutschen Filmgeschichte ein. Stets mit dem ihm vorauseilenden Ruf des trotzigen gnadenlosen Gesellschaftskritikers, fast schon -peiniger, bewaffnet, liefert seine Filmographie vor allem Werke, die mit herkömmlichen Narrativen ebenso wenig anfangen können, wie mit Helden, Frohsinn, Schönheit. Nein, Schlingensiefs Filme waren oft vor allem Ansammlungen von Abscheulichkeiten. Titel wie Das deutsche Kettensägenmassaker, Terror 2000 - Intensivstation Deutschland, United Trash oder Die 120 Tage von Bottrop (übrigens allesamt aus den 1990ern, als es in Deutschland doch eigentlich endlich keine Probleme mehr gab) geben den Ton an; Schlingensief ist auf Krawall gebürstet.

Menu Total, bei dem er nicht wie so oft mit Udo Kier zusammenarbeitet, sondern mit dem jungen Helge Schneider, wird mit einer Kakophonie aus Geburtstagsliedern über Fliegergeheul und Flächenbombardement eröffnet. „Unverletzt und ohne Sorgen. Ja! Ja! Ja!“ jauchzen die Offiziere, die irgendeine Nazi-Uniform zu tragen scheinen. Völlig blind gegenüber dem ethischen, menschlichen, moralischen, rechtlichen und klaffenden Loch, das die Nazizeit in Europa, ja der ganzen Welt hinterlassen hat. Solange der eigene Körper keine seltsamen Entstellungen erleiden musste, will sich hier auch keiner beschweren. Doch Schlingensief, das merkt man hier deutlich, ist nicht der Meinung, dass man zwölf Jahre aggressive politische Indoktrinierung einfach so ablegen kann, wie einen Hut. Auch wenn viele ehemalige ranghohe Nazis das versucht haben. Blutgruppentätowierung wegmachen. Fertig. Unverletzt und ohne Sorgen.

Doch bevor hier noch Missverständnisse auftreten: Menu Total ist keine bissige Satire, sondern eine schallende Ohrfeige für das deutsche Publikum, das es sich in seiner Bequemlichkeit zu sehr suhlt. Schlingensiefs Filme waren schon immer ein Invalidenkabinett, bevölkert von Entstellten und Manischen, durchzogen von unsäglichem Geschrei, grundloser, dafür umso gehetzterer Gewalt und hilfloser Stille. (Auch wenn letztere einen weitaus kleineren Teil einnimmt.) Der Filmemacher zeigt eine inzestuöse Gesellschaft der Lügner und Feiglinge. Der Menschen, die sich an hilflosen Opfern vergehen und die wie Untote einem Demagogen folgen. Genauer, auch um mal ein bisschen die Werbetrommel zu rühren: Schlingensief zeigt Zombies, die einem Helge Schneider’schen Hitler zujubeln. Nun denn. Was ist noch faktisch über den Film zu sagen? Menu Total spielt in einer unbenannten Zeit, an einem unbekannten Ort, mit namenlosen Figuren (außer „Mama“) und zeigt so ziemlich jede Hässlichkeit, die ein Mensch auszuführen im Stande ist.

Menu Total ist ein Film ohne nennenswertes Narrativ, einen Plot gibt es schon gar nicht, dafür verirren sich sporadisch stringente Sequenzen in die Geschehnisse. Plötzlich wird etwas oder jemand gesucht, plötzlich existiert ein kleines aber deutliches Ziel in diesem kopflosen Durcheinander des Grauens. Dieses Ziel wird dann von den Figuren mit dem immer gleichen Wort vorgetragen. Mama! Mama! Mama! Tasche! Tasche! Tasche! Lassen muss man dem Regisseur und Aktionkünstler aus Oberhausen allerdings, dass er ein zutiefst atmosphärisches, zeitweise assoziatives und erschreckendes Stück Film abliefert, das dem Zuschauer erbarmungslos vor den Kopf treten will - und trifft. In all den Vergewaltigungen, dem Geschrei, dem dargestellten menschlichen Leid, der hässlichen Gier und brutalen Gewalt, gibt es nur einen einzigen Hoffnungsschimmer am Horizont: Die fast schon augenzwinkernd schelmische Jazztrompete des Filmscores, für den niemand geringeres als Helge Schneider zuständig war.

Nun soll hier noch ein Absatz folgen, der sich möglicherweise mehr auf Schlingensiefs Werk im Ganzen bezieht, als auf den Einzelfilm Menu Total. Man möge es dem Autoren nachsehen. Denn irgendwie wäre ihm nicht wohl dabei, diese Gedanken dem Leser zu unterschlagen. Schlingensief fordert unheimlich viel von seinem Zuschauer. Natürlich gibt er auch etwas zurück, doch ob der Zuschauer Lust hat, sich mit den Fragezeichen und Retourkutschen Schlingensiefs wirklich auseinanderzusetzen, sei mal dahingestellt. Seine Filme sind nicht sonderlich leicht zu verarbeiten und noch schwerer zu ertragen. Auch Menu Total will eine klaffende Wunde in die Gesellschaft gerissen sehen und die Scheinheiligkeit der Deutschen entblößen. Er geht dabei allerdings derart gnadenlos vor, dass er die generelle Unschuldsvermutung bespuckt und lieber - stets im Namen der Gesellschaftskritik - einen Hang zu Geschmacklosigkeiten und zur Entmenschlichung seiner Figuren verfolgt. Vielleicht geht das dem Autoren so nahe, weil Schlingensief Recht hat. Vielleicht, weil er ein Genie war. Oder vielleicht, weil er sich wie ein rechthaberischer Schreihals aufführt, dem man schon nach einer halben Minute nicht mehr zuhören kann.

Fazit

Mit „Menu Total“ hat Christoph Schlingensief einen verstörenden und sehr gesellschaftskritischen Film über die Irrungen und Wirrungen der Nachkriegszeit inszeniert. Mit einer effektiven Kameraführung und einem gewitzten Score zeigt er einen unerklärlichen Film, in dem die meiste Zeit gestöhnt, gejammert, gestammelt und geschrien wird. Schlingensief entwirft eine chaotische Gesellschaft, die ein blindes Auge seiner eigenen Vergangenheit zuwirft. Die von Gewalt und Perversion getrieben ist, aber stets beteuert, dass den Kindern nichts getan werden dürfe (die könnten ja nichts für ihre Nazieltern). Ein Film, der viele Fragezeichen hinterlässt, den viele nach wenigen Momenten entnervt wieder abschalten werden - der jedoch, wenn man die Muße hat, sich mit ihm zu beschäftigen, einiges bieten kann.

Kritik: Levin Günther

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