Über Werner Herzogs Eloquenz ist bereits viel gesprochen worden. Er selber wird auch nicht müde zu betonen, dass es möglich keinen anderen Menschen auf der Erde gibt, der über diese rhetorische Finesse verfügt, wie er es tut. Tatsächlich sind es Sätze wie der, mit dem Werner Herzog das Band zwischen seinen Werken und denen von David Lynch(„Mulholland Drive – Straße der Finsternis“) beschrieben hat, bei denen man dem in die Vereinigten Staaten exilierten Autorenfilmer doch durchaus zustimmen möchte: „Lynch's and my films are very different. They don't really speak to each other. But when they do touch, they dance.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, und Filmliebhaber wie man nun mal ist, kommt es natürlich einer regelrechten Sensation gleich, Werner Herzog und David Lynch an einem gemeinsamen Projekt arbeiten zu sehen. Glücklicherweise wurde dieser cineastische feuchte Traum mit „My Son, My Son, What Have Ye Done“ in gewisser Weise Realität.
Gut, man darf nicht übertreiben: Wirklich mitgewirkt hat David Lynch, der hier als ausführender Produzent aufgeführt wird, am produktiven Prozess hinter „My Son, My Son, What Have Ye Done“ nicht. Wie entscheidend seine Person für diesen Film allerdings war, ist nicht von der Hand zu weisen: David Lynch nämlich war es, der Werner Herzog bei einem Gespräch in seinem Haus mit einem gar inbrünstigen Enthusiasmus dazu „zwang“, diesen Film zu drehen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sich noch nicht einmal Gedanken um die Vorproduktion gemacht wurden. David Lynch ist der Katalysator dieses Unterfanges, und die Präsenz seiner Person lässt sich wiederholt im filmästhetischen Erscheinungsbild von „My Son, My Son, What Have Ye Done“ erkennen. Sei es in der Schauspielerwahl (Grace Zabriskie aus „Inland Empire“), in der verkapselten Erzählstruktur oder in der naturalistischen Farbdramaturgie. „My Son, My Son, What Have Ye Done“ aber bleibt dennoch ein Werner-Herzog-Film, durch und durch.
Auch wenn sich „My Son, My Son, What Have Ye Done“ auf den wahren Fall des Mark Yavorsky bezieht, der einst die Hauptrolle im Theaterstück „Die Orestie des Aischylos“ innehatte, um dann auch in der Wirklichkeit seine Mutter mit einem antiken Schwert umzubringen, ist es Werner Herzog und Herbert Golder niemals daran gelegen, einen faktenbasierten True-Crime-Thriller zu entwerfen, der sich dokumentarisch mit der Persönlichkeit des Mark Yavorsky auseinandersetzt. Dieses Vorhaben hat Werner Herzog spätestens in dem Moment abgelegt, als er zum ersten und letzten Mal den Wohnwagen betreten hat, in dem Mark Yaorsky lebt, um in einer Ecke der Behausung eine Art Schrein zu entdecken, über dem ein Poster seines Klassikers „Aguirre, der Zorn Gottes“ prangte. In „My Son, My Son, What Have Ye Done“ geht es vielmehr darum, die Essenz des Filmemachens wiederzuentdecken und damit auch den Mut aufzubringen, ein Kino zu entwerfen, in dem es um die Erfahrung selbst geht und nicht um die Möglichkeit, das scheinbar Erfahrene in Analysen pedantisch zu zergliedern.
„My Son, My Son, What Have Ye Done“ negiert jedwede Form von konventioneller Erzählung und chiffriert sich in ein filmisches Wunderland, welches sich komplett dem Sog des Wahnsinns verschrieben hat – ein Motiv, mit dem Werner Herzog ja bereits genügend Erfahrungen gemacht hat. Man muss sich den Film wie ein Gemälde vorstellen, mit kraftvollen Pinselstrichen versehen und doch von verblichenen Farbflächen befallen; wie ein intuitives Experiment, welches dort weitermacht, wo der herausragende und ungemein vegetative „Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen“ aufgehört hat. Herzog vertraut auf die Poesie des Wahnsinns und bindet sich daran, „My Son, My Son, What Have Ye Done“ allein über die Emotionalität wirken zu lassen: Es geht allein um das, was die Bilder auslösen, was man durch diese in seinem Inneren imstande ist, fühlen zu dürfen. Passenderweise ist genau dies der Schritt, um der entrückten Seele des Brad Macallam (Michael Shannon, „Take Shelter“) ein erstaunlich bedrückendes Psychogramm maßzuschneidern. In den Leerstellen und Aussparungen liegt die Kraft.