Inhalt
Durch den Tod ihrer Großmutter verloren, flüchtet die 27-jährige Milene in die alte Fabrik ihrer Familie, die heute von der Familie Matas, einer Familie aus Kap Verde, bewohnt wird. Dort trifft sie auf Antonino. Trotz ihrer Unterschiede entwickelt sich zwischen ihnen eine Romanze.
Kritik
Über Jeanne Waltz (Die Unsanfte) adrette Adaption Lídia Jorges Romans, dessen zwanghaft kurioser Originaltitel Der Wind pfeift in den Kränen nicht von ungefähr nach einem besonders biederen Schlag französischer Boulevard-Komödien klingt, kann man sich tatsächlich amüsieren. Allerdings nicht, weil die krampfigen Karikaturen egozentrischen Erbadels, auf die das das sozialromantische Sittenbild augenscheinlich viel hält, unterhaltsam wären oder der verstaubte Humor gewitzt. Die Plot-Pointes ist der unfreiwillige Umstand, dass selbiger eben jene Ressentiments zelebriert, die er zu widerlegen vorgibt.
Die sozialen Stereotypen fügen sich nahtlos in die kinematischen Klischees, aus denen die Regisseurin und Drehbuchautorin die derivative Retro-Romanze zusammensetzt wie ein verstaubtes Puzzle. Welches beschönigte Bild das schlussendlich ergibt, lässt schon die Synopsis erahnen. In einem pittoresken Provinz-Portugal der frühen 90er sucht die geistig gehandicapte Milene (fragwürdige Fehlbesetzung: Rita Cabaço) nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter, in deren Herrschaftshaus sie lebte, nach Erklärungen bei einer Familie kapverdischer Arbeitender, die in einer stillgelegten Fabrikanlage leben.
Als paternalistische Projektion der glücklichen Armen voller Lebensfreude schließt Familie Matas sie sofort ins Herz - insbesondere Antonio (Milton Lopes, Ant-Man and the Wasp: Quantumania). Der sieht in der infantilisierten Protagonistin seine verstorbene große Liebe, was deren elitäre Verwandtschaft in Angst um ihr Erbe zu medizinischer Gewalt treibt.Tradierte Gesellschaftshierarchien erscheinen als gerechter Garant sozialer Sicherheit und ökonomischer Stabilität der unteren Klassen. Deren wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht die Liebe einer weißen Oberschicht, die mittels heterosexueller Harmonie die Wunden der Vergangenheit und Gegenwart heilt.
Fazit
In den süßlichen Sepia-Schattierungen alter Urlaubspostkarten zeichnet Jeanne Waltz die gleichnamige Buchvorlage Lídia Jorge nach dem Malen nach Zahlen Prinzip: Die von unzähligen vergangenheitsverklärenden Schnulzen vorgestanzten Narrative und Figuren werden bloß ausgefüllt mit passablen Darstellenden und abgeschmacktem Ableismus. Die ignorante Inszenierung gibt sich dabei so unbedarft wie ihre verniedlichte Heldin. Deren mentales Handicap steht in problematischer Analogie zum Intellekt migrantischer und armer Personen. Intersektionale Diskriminierung, kolonialistische Kapitalverteilung und ärztliche Misshandlung negiert oder banalisiert die reaktionäre Romanze.
Autor: Lida Bach