"I've always been American in my heart, ever since my mother took me to the movies." - Quentin Crisp
Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, sind fasziniert vom „American Dream“, weil „American Dream“ für ein besseres, wundervolles Leben in Freiheit steht. Eigentlich hat diese Bezeichnung eher einen symbolischen Charakter und für viele bedeutet es tatsächlich pures Glück mit unbegrenzten Möglichkeiten. Genauso fühlte es sich für den Regisseur und Drehbuchautor Wes Hurley (Waxie Moon) an, als er zusammen mit seiner Mutter in der UdSSR lebte und von einem besseren Leben in Amerika träumte. Potato Dreams of America basiert auf seinem eigenen Leben und beginnt mit der Darstellung seiner harten Kindheit in der UdSSR. Als kleiner Junge versuchte er die Streitereien seiner Eltern auszublenden und flüchtete in die fiktive Welt der amerikanischen Filme, in denen es immer einen Happy End gab. Mit Potato Dreams of America verarbeitet er seine eigene Vergangenheit und zeichnet dabei ein sehr düsteres Bild von seinem Leben in der UdSSR und später in Russland. Es wirkt wie ein dunkles Kapitel seines Lebens, das er wie ein tragisches Theaterstück mit komischen Elementen inszeniert. Dementsprechend sind die Bilder in der UdSSR dunkel und seine Welt ist hoffnungslos. Der einzige Hoffnungsschimmer ist sein Glaube an Gott und Amerika.
Wes Hurley lässt seinen Helden Potato (Hersh Powers, Sadie) mit einem imaginären Jesus (Jonathan Bennett, Girls Club - Vorsicht bissig!) sprechen.
„Der Held gewinnt immer am Ende. Warum ist das so?“, fragt Jesus.
„Weil er in Amerika ist!“, antwortet Potato.
„Ja ..., aber auch, weil er daran glaubt!“
Der Glaube kann bekanntlich Berge versetzen und genau dieser Glaube bringt Potato und seine Mutter eines Tages nach Amerika. Doch zuvor lässt Wes Hurley die Zuschauer an der UdSSR und Russland Persiflage teilhaben und trotz all der Tragik, die den echten Ereignissen zugrunde liegt, birgt der Film sehr viel Komik in sich. Ob Wes Hurley nun über rassistische und homophobe Äußerungen in seiner Schule berichtet oder über seine eigene Oma (Lea DeLaria, Support the Girls), die seiner Mutter (Sera Barbieri, The Space Between Us) empfiehlt, zu ihrem gewalttätigen Ehemann zurückzukehren, weil sie mit einem Kind sowieso niemand mehr will. An sich sind es alles Ereignisse, die traurig sind und normalerweise bei dem Zuschauer Mitleid auslösen würden, doch das ist nicht Hurleys Intention und durch überspitzte Darstellung der Wahrheiten, offenbart er, dass in allen traurigen Ereignissen auch unglaublich viel Komik steckt, wenn man sie nur von einer anderen Seite betrachtet und an ein Happy End glaubt.
Natürlich wäre es zu leicht, wenn mit dem Auswandern nach Amerika der Film einfach zu Ende wäre. Deswegen darf man auch weiterhin an Potatos Geschichte teilhaben, nur diesmal sind die Bilder und Einstellungen offener, heller und freundlicher. Potato (nun: Tyler Bocock, Thank God for the Cowgirl) ist älter geworden und aus dem düsteren Theaterstück über die UdSSR bzw. Russland ist ein hoffnungsvoller Spielfilm über Amerika geworden. Trotzdem gibt die neugewonnene Freiheit Potato noch nicht die Möglichkeit seine Homosexualität zu offenbaren, weil er seine Veranlagungen vor seinem offenbar konservativem Stiefvater (Dan Lauria, Holidate) verstecken muss. Auch in der Schule wird Potato von seiner Lehrerin (Alycia Delmore, Take Me) nur auf seine Nationalität reduziert und darin bestärkt, seine russische Kultur zu bewahren. Dabei will Potato weder mit Russland noch mit der russischen Kultur zu tun haben, weil er schon immer ein Amerikaner sein wollte. Es ist großartig, wie Wes Hurley sich über den sogenannten positiven Rassismus lustig macht, dem viele Auswanderer, mindestens einmal in ihrem Leben begegnen. Potatos Lehrerin bringt ihn mit einem ausländischen Jungen zusammen, der nicht einmal aus Russland stammt, damit er mit „seinesgleichen“ zu tun hat und sich in Amerika wohlfühlt. Wie wunderbar, wenn sich die Ausländer in ihrer Sprache unterhalten und dann werden sie natürlich sofort beste Freude, weil jeder Amerikaner mit jedem anderen Amerikaner auch automatisch befreundet wäre, wenn sie sich irgendwo im Ausland treffen würden. Einfach herrlich, dieser Alltagsrassismus.
In dem zweiten „amerikanischen Abschnitt“ des Films wird man von der Handlung derart überrascht, dass man sich zunächst denkt: „Das ist jetzt nun wirklich übertrieben und unglaubwürdig!“ Am Ende des Films, findet man jedoch heraus, dass es genauso passiert ist und stellt mal wieder fest, dass das Leben die unglaublichsten Geschichten schreibt. Wes Hurleys Geschichte ist deshalb so besonders, weil es nicht nur um die Geschichte eines zunächst unglücklichen kleinen Jungen geht, der die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgegeben hat, sondern auch um einen Jungen, der sich sein ganzes Leben lang hätte verleugnen müssen, wenn er in Russland geblieben wäre. Für viele Menschen aus den wohlhabenden und freien Ländern ist der „American Dream“ nur eine Floskel, aber für diejenigen, die in einem Land aufwachsen, in dem sie ihre Sexualität verstecken müssen, bekommen diese Worte noch eine ganz andere Bedeutung. Und all diejenigen, die glauben, dass „American Dream“ nur patriotischer Quatsch und Nonsens ist, sollten den Begriff „American Dream“ durch den Begriff „Freiheit“ ersetzen, denn Freiheit ist genau das, was all die Menschen, die nach Amerika gehen, finden möchten. Wenn man schon frei ist, das zu tun, was man möchte und diejenigen zu lieben, die man lieben möchte, wird man es nie verstehen, wie es sich anfühlt, wenn man an einem Ort lebt, an dem es verboten ist, man selbst zu sein.