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Shang-Chi (Simu Liu) muss sich einer Vergangenheit stellen, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte, als er in die Machenschaften der mysteriösen Organisation „Zehn Ringe“ verwickelt wird
Kritik
Mehr als zwei Jahre lagen zwischen dem großen Phase 3-Finale Avengers: Endgame und dem letzten Marvel-Kinorelease Black Widow – eine Zeitspanne, die es zumindest im Ansatz schaffte ein (unfreiwilliges, aber nötiges) Gefühl von Finalität im Marvel Cinematic Universe zu evozieren. Jetzt rollt die nächste Phase des MCU wieder los – und das im Karachomodus: Neben bereits drei veröffentlichten Disney-Plus-Serien, erwarten uns allein 2021 vier Marvelfilme in sechs Monaten. Grund genug für das MCU sich neu zu erfinden: auf alt Bewährtes zu setzen, dieses aber in neuem Gewand zu präsentieren. Helfen sollen dabei vor allem Filmschaffende aus dem Indie-Bereich mit starker persönlicher Handschrift. Wie der Hawaiianer Destin Daniel Cretton (Short Term 12 - Stille Helden), der die vierte Phase des MCU mit dem chinesischen Superhelden Shang-Chi (im Kino) eröffnen darf.
Denn: „Ganz anders und besonders“ soll Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings sein – das sagte zumindest Marvelbrain Kevin Feige. Und das nicht nur, weil der Protagonist aus China kommt. Tatsächlich ist die asiatische Ästhetik Shang-Chis die größte Stärke des Films und deutlich mehr als oberflächliches Marvel-Flexing, um auch dem lukrativen chinesischen Box Office zu gefallen (obwohl das sicher ein netter Nebeneffekt ist). Shang-Chi atmet aus jeder Pore die (vor allem auch im Westen bekannten) Stützpfeiler des chinesischen Kinos. Da wären auf der einen Seite die Kampfchoreographien eines Jackie Chan, denen Shang-Chi in seinen Martial-Arts-Kämpfen stets huldigt. Bereits die erste Actionsequenz des Films ist ein Fest: Das prügelt sich Shang-Chi auf engstem Raum durch einen fahrenden Bus, springt und duckt sich unter und über Haltestangen hindurch und hievt zumindest die Hand-to-Hand-Combat-Action des MCU auf ein neues Level. Durch die Verpflichtung des Schauspielers und Stuntman Simu Liu als Protagonist darf sich Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings vor allem in den Kämpfen richtig austoben – und das macht Spaß!
Da hilft es auch, dass Cretton weiß, wie er diese Actionszenen einzufangen hat. Ohne Schnittgewitter behalten wir stets die Übersicht und dürfen uns in teils langen Einstellungen an den starken Stunts der Darstellerinnen und Darsteller erfreuen: Klasse! Die andere hervorstechende Hommage des Films ans asiatische Kino betrifft vor allem visuelle Referenzen an fantastisch angehauchte Kampfmärchen à la Tiger & Dragon oder House of the flying Daggers. Zwar überzeugt der hohe Einsatz an computergenerierten Umgebungen in Shang-Chi nicht immer, aber auch hier gilt: Diese fernöstliche Romantik und Mystik ist eine frische Abwechslung im MCU, die nicht – wie befürchtet werden konnte – aufgezwungen wirkt.
Der vorsichtige Blick auf die Wertung dieser Kritik lässt allerdings bereits vermuten: ein ordentliches „Aber“ ist im Kommen. Und ja, leider ist Shang-Chi abseits dieser inszenatorischen und visuellen Lichtblicke so gar nicht „anders und besonders“. Stattdessen wagt sich Marvel auch im zehnten Anlauf (auf die Origin-Filme bezogen) nicht aus der typischen Origin-Komfortzone heraus. Da nützt es wenig, dass die Darstellerinnen und Darsteller um Simu Lui und Awkwafina (The Farewell) charmant daherkommen, dass der Humor immer mal wieder für Kurzweil sorgt und dass der emotionale Konflikt unseres Helden komplexe Ansätze mit sich bringt (immerhin muss er gegen seinen eigenen Vater, den echten Mandarin, vorgehen) – alles, was Shang-Chi im Großteil seiner 132 Minuten auffährt, haben wir im MCU bereits mehrfach gesehen.
Selbst den narrativen Ansatz, die Geschichte unseres Helden in Flashbacks zu erzählen, nutze das MCU bereits in Captain Marvel . Und: Wie in Brie Larsons Soloauftritt stört diese Erzählform eher, als das sie echte Abwechslung generiert. Shang-Chi hat Probleme einen ordentlichen Erzählrhythmus zu finden, steht sich immer wieder selbst im Weg und erstickt die interessanten Konflikte der Figuren durch einen Überfluss an Flashbacks und Nebengeschichten im Keim. Und wenn Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings dann - wie so viele Superheldenfilme vor ihm - in einem riesigen, undurchsichtigen CGI-Gewitter endet, in dem sich Massen an Soldaten und Monster gegenseitig bekämpfen, wird deutlich: Action ist nicht automatisch besser, wenn sie größer ist. Manchmal reichen einfach ein Bus und ein paar Ganoven.
Fazit
Die toll choreographierten Kampfszenen im Jackie Chan- und „Tiger and Dragon“-Gewand sind es, die „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ vereinzelt vom typischen Marvelbrei abheben. Abseits dieser starken Momente folgt der Film jedoch einer bereits viel zu oft verwursteten Erzählformel, die im fünfundzwanzigsten Anlauf erwartungsgemäß enorme Abnutzungserscheinungen aufweist und spätestens im überzogenen CGI-Finale gehörig auf die Nerven geht.
Autor: Thomas Söcker