Inhalt
Die Vorschulgeschwister Kaylee und Kevin durchleiden den absoluten Horror: Als sie eines Nachts erwachen, ist der Vater verschwunden – genauso wie sämtliche Fenster und Türen des Hauses. Um sich von der aufsteigenden Panik abzulenken, stürzen sie sich auf ihre Spielsachen und legen alte Trickfilme auf VHS ein. Doch der wahre Schrecken wartet erst auf sie, denn noch jemand (oder etwas?) befindet sich mit den Kindern in den finsteren vier Wänden.
Kritik
Ein Einspielergebnis von etwas mehr als 1.5 Millionen US-Dollar (Stand: 25. Januar) wäre höchstens bei großen Kassenflops eine Erwähnung wert gewesen. Doch liest man diese Summe im Verbund mit einem mickrigen Budget von umgerechnet circa 11.200 US-Dollar, dürfte das für eine gewisse Verwunderung bei dem ein oder anderen sorgen. Beide Zahlen beziehen sich auf den Horrorfilm Skinamarink, mit dem Regisseur Kyle Edward Ball (Heck) sein Spielfilmdebüt gibt. Angetrieben von einem viralen Hype auf den sozialen Medien wie TikTok und Reddit und dessen Ursprung sich auf einen (versehentlichen) Leak auf dem Festival-Circuit und der Uraufführung auf dem Fantasia Film Festival 2022 in Montreal beläuft, fand dieser Film seinen Weg auf die Leinwand in den US-Kinos – und dürfte dabei vor allem TikTok-Nutzer sauer aufstoßen.
Denn Skinamarink spaltet in puncto Aufmerksamkeit die Gemüter konsequent. Hier ist nämlich ein Regisseur mit einem behutsamen Filmstil am Werk und ein nachträglicher Blick auf Balls bisheriges Schaffen führt auf seinen YouTube-Kanal Bitesized Nightmares –ein Spielplatz für seine auf Online-Alptraumgeschichten basierenden Filmexperimente sowie bizarre Hintergrund-Musikvideos, beispielsweise ein dreistündiger Mix bestehend aus alten Cartoons, um einschlafen oder entspannen zu können. Genau das ist für die Kleinkinder Kaylee (Dali Rose Tetreault) und Kevin (Lucas Paul) in Skinamarink, der im Jahr 1995 spielt, nicht möglich. Sie wachen eines Nachts auf, sondieren das Haus und versuchen mithilfe von Lego-Sets und Zeichentrickfernsehen die Angst vor der umgebenden Dunkelheit zu überbrücken. Doch mit der Zeit gesellen sich audiovisuelle Anomalien hinzu, in denen unter anderem die Fenster und Türen verschwinden und die Kinder zunehmend in einen für sie kaum begreifbaren Alptraum hineinschlittern.
Die Narrative ist ähnlich gestrickt wie seine bisher verfilmten Kurzgeschichten auf YouTube und klingt soweit unspektakulär, wird aber mit einem künstlichen Kniff passend verpackt: Ein Bildrauschen sowie ein vinylartiger Knisterton begleiten den Film durchgängig. Dies ist keineswegs Ausdruck einer finanziellen Limitierung, sondern mehr eine kleine Zeitreise – besonders für die Generation Y – in die Angst vorm Dunkeln aus den Kindheitstagen. Dies glückt vor allem, wenn man sämtliche Erwartungen über Bord wirft und geduldig abwartet. Gerade den letzteren Aspekt reizt Ball bis zum äußersten aus, weil er über die insgesamt 100 Minuten damit beschäftigt ist die Lo-Fi-Atmosphäre zu füttern und sich in ihr zu suhlen. Für die Anspannung sorgen die blau-, orange- und pinkfarbenen akzentuierten Bilder und ein sonderbares Sound Design, das mit aufgesetzten Kopfhörern einen eigenen Punch besitzt. Neben den gefilterten Hintergrundgeräuschen wird eine eigenartige First-Person-Ansicht durch die geisterhaften, gedämpften Flüsterstimmen von Kaylee und Kevin erzeugt. Diese wird mit Froschperspektiven auf Wände und diversen vom Fernseher oder Wandlampe erzeugte Lichtbrechungen untermauert, welche aber in der ersten Hälfte des Films zu redundant eingesetzt werden. Die Akustik trägt das Geschehen zunächst merklich.
Mit dem Hören einer dritten einredenden Stimme nimmt das Geschehen leicht an Fahrt auf, mit jedem langsamen Kameraschwenk aber auch die Nervosität. Ball beginnt mit der aufgebauten Spannung zu spielen, verzerrt gesprochene Sätze bis hin zur erforderlichen Untertitelung und lässt die Zuschauer:innen raten, ob sich da was im Rauschen bewegt oder von außerhalb in den Frame gelangt. Hinzu folgen harte, Taschenlampen-gleichende Blenden ins Dunkle, das Interieur im Haus bekommt im letzten Drittel ein zunehmend beunruhigendes Potenzial und man aus geballter Angst darum bittet zum Ende zu kommen. Ein hoher Puls bleibt und Balls Handschrift hinterlässt einen Eindruck in den eigenen vier Wänden. Oder die 100 Minuten kommen einem wie eine anödende Aneinanderreihung von Bewegbildern mit hohem ISO-Wert vor, sofern man überhaupt nichts mit der Präsentation dieser Angst anfangen kann. All das hängt vom Grad der Immersion ab und im besten Fall vergeht die Zeit wie im Flug. Dennoch könnte man einen Teil der sich wiederholenden Einstellungen der Wände und des Fernsehers im Wohnzimmer streichen und den Film damit auf 80 bis 85 Minuten reduzieren. Unter anderem als „Blair Witch Project der TikTok-Generation“ im Netz tituliert, kann Skinamarink zwar nicht annähernd in die Umsatzregionen des gewieft vermarkteten Found-Footage-Films von 1999 oder einem „Paranormal Activity“ vorstoßen, doch reiht er sich in jene Kategorie von Micro-Budget-Erfolgen ein, die den Horror erneut um ein weiteres Kapitel und eine weitere interessante Stimme bereichert haben.
Fazit
Getragen von einer Welle des Hypes auf den sozialen Medien biedert sich Regisseur Kyle Edward Ball diesen Plattformen dankenswerterweise nicht an und lädt zu seinem experimentellen Spielfilm mit einer stimmigen Lo-Fi-Atmosphäre ein. „Skinamarink“ erfordert einen langen Atem, tritt bei seiner zu langen Laufzeit zwischenzeitlich auf der Stelle, aber die eigenen Vermutungen, die Motive und die ungewöhnliche Soundgestaltung erhöhen die Spannung Stück für Stück und versetzen die Zuschauer:innen in die Lage seiner jungen Protagonist:innen, wodurch sich das Elternhaus in einen unheimlich effektiven Schauplatz eines Alptraums transformiert.
Autor: Marco Focke