Natürlich kann man über die unendlichen Weiten des australischen Outback nur ins Schwärmen geraten. Hier, so scheint es jedenfalls, sind noch Abenteuer möglich. Abenteuer, deren Ursprünge einer unendlichen Geschichte gleichkommen, derartig tief tragen sie ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Inklusive wilder Tiere, einer ungezähmte Vegetation und dem sich bis zum Horizont erstreckenden Wüstensand. Mit dem historischen Western Sweet Country bekommen die schier unerschöpflichen Landmassen Australiens nun jedoch ein neues, ein erschreckendes Gesicht zugesprochen, obgleich der Filmtitel immer noch von der Süße des Entdeckens und Erkundens berichten möchte. Warwick Thornton (Samson & Delilah) filtert in seiner neuen Regiearbeit hingegen den bis ins Mark des Landes eingesickerten Schmerz aus der Grenzenlosigkeit des Outback – und fördert damit eben auch einen grenzenlosen Schmerz an die Oberfläche.
Charakterlicher Dreh- und Angelpunkt dieser in den 1920er Jahren angesiedelten Erzählung ist der Aborigine Sam Kelly (Hamilton Morris). Gemäß der britischen Krone, von der sich Australien bereits vor über 19 Jahren unabhängig erklärt hat, sind die Ureinwohner inzwischen mit den weißen Siedlern gleichgestellt. Die Realität allerdings spricht eine andere Sprache. Noch immer werden die indigenen Stämme ausbeutet, entmündigt, auf ihre Verfügbarkeit herabgesetzt – und auch Sam Kelly, der zusammen mit seiner Frau ein gutes Leben auf dem Anwesen des Geistlichen Fred Smith (Sam Neill, Jurassic Park) führt, wird Opfer der noch immer rückständigen Strukturen seines Heimatlandes. Nachdem sich der traumatisierte Kriegsheimkehrer Harry March (Ewen Leslie) um die Unterstützung von Kelly bemüht hat, eskaliert die Situation zusehends und endet nicht zuletzt mit einem Toten. Mit einem toten Weißen.
Interessanterweise gelingt es Regisseur Warwick Thornton, der selbst indigener Abstammung ist, überaus harmonisch, sich sowohl ikonischen Momenten des Western-Genres anzunehmen, allerdings ist er vielmehr darum bemüht, dieses Bedienen immer schon recht frühzeitig wieder zu ersticken. Nachdem sich Sam Kelly auf der Flucht befindet und ein Suchtrupp, angeführt vom knüppelharten Sergeant Fletcher (Bryan Brown, Gorillas im Nebel), sich an seine Fersen bindet, hätte man durchaus der Vermutung anheimfallen können, Sweet Country arbeite sich nun auf das obligatorische Western-Finale hin, welches sich gleichzeitig als Metapher auf vorherrschende Ungerechtigkeit verstehen lässt. Thornton aber nimmt seinen Hauptakteuren von vornherein die Kraft, um sich auf so einen Zweikampf adäquat vorbereiten zu können. Die Natur mit ihren ewigen Salzwüsten, durch die Sam und seine Verfolger reisen, ist keine kraftspendende, sondern eine todbringende.
In den sonnengegerbten, von Strapazen gezeichneten Gesichtern finden die Männer auf beiden Seiten ihre Gemeinsamkeiten: Sie sind müde. Müde vom kämpfen, müde vom fliehen, müde vom töten, sicherlich auch müde vom Leben. Sweet Country erweist sich als entkräftendes, ungemein kontemplatives Kino, welches sich bildgewaltig mit der Frage auseinandersetzt, wie sich ein Land, eine Gesellschaft, ein Individuum weiterentwickeln soll, wenn niemand die Initiative ergreift, Veränderungen zu formulieren, anzugehen und zu akzeptieren. Gerechtigkeit bleibt auch am Ende des Filmes, wenn Sam Kelly sich einem fairen Gerichtsprozess unterzieht, ein vor allem abstrakter Begriff. Denn das Urteil des Richters, der extra aus einem aufgeklärten Teil Australien heranzitiert wurde, muss erst mit der geladenen Waffe untermauert werden, um sich wenige Augenblicke später genau davon wieder als nichtig erklärt zu sehen. Willkommen im Niemandsland.