Kate Hallett ist nicht Kathy Bates – doch sie ist ohne Zweifel das auffälligste Element in Sweetness, dem Spielfilmdebüt der kanadischen Regisseurin und Drehbuchautorin Emma Higgins. Dass der Film bei Festivals immer wieder als eine Art Nachfolger von Misery angekündigt wurde, überrascht kaum, schließlich lassen sich deutliche Parallelen erkennen. Dennoch wäre es falsch, Higgins’ Werk als reine Kopie abzustempeln. Eher handelt es sich um eine freie Variation, die zwar sichtbar inspiriert ist, aber doch einen eigenen Weg versucht.
Während Rob Reiners Klassiker die klaustrophobische Enge einer abgeschiedenen Hütte im verschneiten Neuengland einfing, verlegt Sweetness die Handlung in die scheinbar vertraute Suburbia Nordamerikas. Doch genau hier zeigt sich das erste Problem: Die Welt, in der sich die Geschichte entfaltet, wirkt merkwürdig leblos. Man hat den Eindruck, als bewege sich einzig Rylee durch diese Kulissen, während alles um sie herum wie eine bloße Kulisse wirkt. Dieses Detail mag klein erscheinen, doch es verhindert, dass man gänzlich in den Film eintauchen kann. Hinzu kommen andere Unstimmigkeiten – Konzertszenen, denen jegliche Atmosphäre fehlt, oder Innenaufnahmen, die sich nach Studio anfühlen, statt nach authentischem Raum. All das verweist weniger auf fehlendes Können als vielmehr auf ein begrenztes Budget, das die Illusion immer wieder brüchig macht.
Dabei zeigt Higgins durchaus Gespür für Regiearbeit. Einzelne Momente stechen hervor, etwa ein gelungener One-Take im letzten Drittel, der sich ohne überflüssiges Zurschaustellen organisch in die Handlung fügt. Solche Einfälle lassen erahnen, dass Higgins mehr kann, als der Film insgesamt vermuten lässt. Leider bleibt es bei wenigen Glanzlichtern, die den insgesamt eher matten Eindruck nicht aufwiegen können.
Das größere Problem liegt ohnehin in der Figurenzeichnung. Rylee, eigentlich die zentrale Bedrohung des Films, wirkt seltsam kraftlos. Zwar begeht sie Taten, die man als grausam bezeichnen könnte, doch nie entfaltet sie die Faszination des Wahnsinns oder die Aura des Schreckens, die man von einer solchen Figur erwarten würde. Higgins entscheidet sich klar für die Form des Thrillers, scheut aber zugleich davor zurück, ihre Hauptfigur radikal zu entfesseln. Dadurch bleibt Rylee zwischen allen Stühlen – zu harmlos für eine echte Schurkin, zu aggressiv für eine glaubwürdige Figur. Diese Halbherzigkeit nimmt dem Film jenen Biss, den er so dringend gebraucht hätte.Mal davon abgesehen, dass der Film öfters vergisst, dass da ja noch ein entführter Rockstar im Keller ist.
Dass Sweetness dennoch nicht völlig verpufft, ist vor allem Kate Hallett (Die Aussprache) zu verdanken. Der Nachwuchsstar verleiht Rylee zumindest phasenweise Tiefe, indem sie mit Blicken und Körpersprache die innere Zerrissenheit durchscheinen lässt. Zwar reicht ihre Darbietung nicht aus, um den Film wirklich unheimlich oder packend zu machen, doch sie beweist, dass Hallett über ein bemerkenswertes Talent verfügt, das hoffentlich in besseren Projekten weiter aufblühen kann.
Emma Higgins wiederum hinterlässt den Eindruck einer Regisseurin, die handwerkliches Können besitzt, aber noch nach einer klaren Stimme sucht. Sweetness ist letztlich zu glatt, zu spannungsarm und zu frei von echten Überraschungen, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen. Doch gerade angesichts der erkennbar eingeschränkten Mittel lässt sich nicht leugnen, dass hier ein Erstling entstanden ist, der zumindest neugierig auf künftige Arbeiten macht. Begeisterung weckt Sweetness zwar nicht, doch sowohl Hallett als auch Higgins sind Namen, die man sich durchaus merken sollte.