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Am frühen Abend des 21. August 2015 starrten die Zuschauer in aller Welt fassungslos auf ihre Bildschirme, als in den Nachrichten die Meldung verbreitet wurde, dass im Thalys-Zug Nr. 9364 Richtung Paris ein terroristischer Anschlag vereitelt worden war - drei tapfere junge Amerikaner auf Europareise hatten ihn verhindert. Der Film erzählt das Leben der Freunde, die Probleme ihrer Kindheit, ihr langer Weg in eine gefestigte Existenz und die Serie von Zufällen, die zu dem Anschlag führten. In der extremen Stresssituation gerät ihre Freundschaft nie ins Wanken - und genau das stellt sich letztlich als ihre wirksamste Verteidigung heraus: So gelingt es ihnen, das Leben von über 500 Menschen an Bord zu retten.
Kritik
Der marokkanische Attentäter, der am 21. August 2015 einen Anschlag im Thalys-Zug von Amsterdam nach Paris plante, ist für Clint Eastwood (Mystic River) kein Mensch. Nein, The 15:17 to Paris versteht Ayoub El Khazzani, so sein Name, den der Film freilich auch verschweigt, als Ansammlung von Körperteilen: Beine, Arme, Schultern, aber kein Gesicht, keine Identität, kein Mitgefühl, nur schwelende Gefahr. Man könnte diese inszenatorische (Nicht-)Darstellung als Mechanik des Spannungsaufbaus deuten, allerdings würde man dem neusten Werk der inzwischen steil auf die 90 zugehenden Hollywood-Legende in diesem Fall fast schon zu viel Umsicht eingestehen. In Wahrheit nämlich blickt The 15:17 to Paris nur einer Nation in die Augen – der amerikanischen. Dieser Film ist den Helden der Vereinigten Staaten gewidmet. Und er ist von Grund auf falsch.
Allein der Umstand, dass die drei jungen Männer, die den Angriff von Ayoub El Khazzani einst vereitelten, sich selbst spielen, mutet bereits kurios an: Wenn Helden zu Helden werden. Oder werden müssen. Alek Skarlatos, Anthony Sadler und Spencer Stone jedenfalls sind keine Schauspieler. Sie mögen nicht unsympathisch erscheinen und ihr geistesgegenwärtiges Handeln an jenem Tag ist bemerkenswert, aber ihre Selbstdarbietungen ergießen sich in unbeweglichen, ausdruckslosen, stumpfen Vorstellungen. Vor allem Spencer Stone sticht dabei negativ heraus, wenn er erst seine stattliche Physis zum Besten gibt, diese danach aber konsequent mit einem kastenköpfigen Dösbaddel-Grinsen unterläuft. Die Probleme von The 15:17 to Paris aber liegen freilich an einer anderen Stelle begraben. Clint Eastwood nämlich möchte den drei Freunden ein Denkmal errichten, weiß aber leider nicht, wie er das bewerkstelligen soll.
In seiner Hilflosigkeit, erzählerisches Potenzial aus diesem wahren Ereignis zu ziehen, welches einen Spielfilm von 90 Minuten abdecken könnte, beginnt Clint Eastwood ganz vorn. Er geht zurück in die Kindheit von Skarlatos, Sadler und Stone, zeigt sie in der Schule, wie sie Ärger mit dem Direktor bekommen; zeigt sie im Wald, wie sie mit Softair-Waffen Krieg simulieren; und er zeigt sie amerikanisch: Neben dem Full Metal Jacket-Poster in Stones Zimmer hängt unweit entfernt eine gerahmte Nationalflagge. Dass sich an der anderen Wand noch ein Poster von Letters from Iwo Jimo (dem Paradebeispiel dafür, dass die republikanische Spitzhacke durchaus reifes Kino abliefern kann) befindet, könnte man als humorvollen Verweis verstehen, würde sich Clint Eastwood mit The 15:17 to Paris nicht mit durchgängiger Beharrlichkeit im Ton vergreifen.
Und so gerät The 15:17 to Paris zur fast 70-minütigen Exposition, die sich uninspiriert durch die Biografie der Protagonisten fleddert und zusehends bestätigt: Helden muss man nicht Beschwören, ihnen ist der Mut in die Wiege gelegt. Alles klar. Wenn sich das Trio dann noch auf Europareise begibt, scheint Eastwood vollkommen die Beherrschung hinter der Kamera zu verlieren: Da zeichnet er in endlosen Montagen aus dem Tourismus-Katalog nach, wie Stone und Co. in Venedig über die Kanäle schippern, Eis schlecken, Vino saufen, Sightseeing betreiben („Oh, so etwas sieht man Zuhause nicht!“), Mädchen kennenlernen, um dann in Amsterdam noch eine flotte Partynacht im Stroboskoplicht mitzumachen. Das Leben kann so schön sein! Wäre da nicht der Tag, an dem man seiner amerikanischen DNA gerecht werden und seine Ehrenhaftigkeit unter Beweis stellen muss. Wobei, dafür wurde man schließlich geboren!
Im letzten Drittel des Filmes wird dann (endlich) der Thalys-Hochgeschwindigkeitszug bestiegen, obwohl den Jungs im Vorfeld natürlich tunlichst davon abgeraten wurde, nach Paris zu reisen. Paris, pff, was soll an der französischen Hauptstadt schon reizvoll sein? Alle Distinktionsmerkmale jedenfalls scheinen abgearbeitet und unsere Helden endgültig in schillernde Edelmann-Form gegossen worden zu sein, ohne Bruch, ohne Zweifel, ohne Widerstand. Die Auseinandersetzung selbst im Zug inszeniert Clint Eastwood nüchtern, womöglich auch aus dem Grund, weil ihm in den weit mehr als 60 Minuten vorher ohnehin jedwedes Verständnis für atmosphärische Dringlichkeiten abhandengekommen ist. Hauptsache unsere Helden sind ausformuliert, einsatzbereit und gottesfürchtig. Und, meine Güte, das sind sie in dieser schmucklosen, plakativen und unfassbar tendenziösen Hagiographie auch.
Fazit
Ein Unfall sondergleichen. Clint Eastwood beweist abermals sein reaktionäres Gedankengut und besetzt drei authentische Helden als sich selbst, um zu unterstreichen: Wer strahlen möchte, muss amerikanisches Blut in sich tragen. "The 15:17 to Paris" jedenfalls ist der bisherige Tiefpunkt im Schaffen von Clint Eastwood. Auch "American Sniper" war zweifelsohne ein rechtspopulistisches Debakel, aber immerhin noch filmisch versiert. "The 15:17 to Paris" hingegen ist schmucklos, hölzern, unfassbar uninspiriert und obendrein gnadenlos dumm.
Autor: Pascal Reis