Filme, die vorrangig oder sogar aussschließlich Frauen in den Mittelpunkt stellen, hatten es noch nie sonderlich leicht an den Kinokassen. Zwar konnten mittlerweile vor zwei Jahren sowohl Wonder Woman als auch zuletzt Captain Marvel beachtliche Rekordergebnisse für sich verbuchen, grundsätzlich bilden diese Franchise-Blockbuster aber nach wie vor eher die absolute Ausnahme. Und handfestes Genrekino abseits von Superheld(-innen)spektakel ist da natürlich sowieso nochmal ein ganz anderes Paar Schuhe, das selbst ein Quentin Tarantino sich nicht anziehen konnte. So erwies sich die überwiegend weiblich besetzte Grindhouse-Sause Death Proof – Todsicher als der bis heute einzige wirkliche Flop des Kultregisseurs. The Descent - Abgrund des Grauens vom damals eher noch unbekannten Briten Neil Marshall hingegen ist wohl das, was man per Definition einen Sleeper-Hit nennen kann. Die 6,5 Mio. Low-Budget Produktion konnte dank starker Mundpropraganda und Festivalpräsenz am Ende immerhin 57 Mio. Dollar einspielen und wird heute auch gern mal als das "Sex and the City" unter den Horrorfilmen bezeichnet. Feststeht jedenfalls, dass der kleine, aber gemeine Genrereißer mit seinem Emanzipationscast wohl auch heute noch locker dem berüchtigten Bechdel-Test Stand halten könnte.
Obwohl man bei den straffen 99 Minuten Spielzeit etwas anderes erwarten könnte, lässt sich The Descent - Abgrund des Grauens, nach einem furiosen Auftakt voller Andeutungen sowie einem urplötzlichen Schlag vor den Kopf des Zuschauers, für Genreverhältnisse erstaunlich viel Zeit. Diese wird vorrangig dafür genutzt, nach einem Zeitsprung die sechsköpfige Frauenclique um die traumatisierte Sarah (Shauna Macdonald) vorzustellen. Auch wenn Neil Marshall bei der Charakterisierung der Figuren natürlich eher mit groben Pinselstrichen hantiert, so hat hier doch jede von ihnen zusätzlich zur Ausrüstung auch emotionalen Ballast, den sie mit sich herumschleppt. Zudem leistet der Film hier die nötige Vorarbeit für Kommendes und etabliert vor allem im Herzen der Truppe das angespannte Verhältnis zwischen Hauptfigur Sarah und der toughen Juno (Natalie Mendoza), dem Alphatier des abenteuerlustigen Sextetts.
The Descent –Abgrund des Grauens ist aber auch vor allen Dingen eines: famos gefilmt! Gedreht wurde, wohl auch aufgrund des schmalen Budgets, in Schottland statt den Appalachen von North Carolina, wo der Wochendtrip ursprünglich angesiedelt ist. Neil Marshall und sein Stammkameramann Sam McCurdy, welcher selbst noch bei seinen Game of Thrones Episoden mit ihm arbeitete, liefern nichtsdestotrotz beeindruckende Landschaftspanoramen, deren erhabene Bildgewalt sich aber dennoch nicht völlig in der ganz und gar bedrückenden Stimmung entfalten kann. Sobald die Gruppe dann in den namensgebenden Schlund hinabsteigt, nimmt Stück für Stück Dunkelheit überhand, während die rudimentär gezeichneten Frauen zumindest teilweise etwas näher ausgeleuchtet werden. Schade bleibt es dennoch, dass sich hier neben den irdischen nicht auch die seelischen Abgründe weiter auftun und zum Erforschen einladen.
Aufgefangen werden diese Schwächen der ohnehin eher schematischen Handlung aber allein schon durch die unglaublich dichte Atmosphäre. The Descent - Abgrund des Grauens spielt in manchen Sequenzen nahezu in völliger Finsternis, die schlichtweg erdrückend wirkt und beim Zuschauer mit Leichtigkeit essentielle Urängste wecken kann. Auch die zunehmend aufgereizte Stimmung in der Gruppe sowie die vielfältigen Gefahrensituationen, wirken für so einen geradlinigen, schlichten Genre-Vertreter erstaunlich wenig konstruiert, sondern oft geradezu beunruhigend realistisch. In einer besonders intensiven Sequenz, in welcher Sarah in einem engen Gang feststeckt, ist die Kamera so gnadenlos nah dran am atemlosen Geschehen, dass es nicht bloß Klaustrophobikern gehörig die Kehle zuschnüren dürfte.
Dem Rest wird es das aber spätestens dann, wenn Neil Marshall seine bis dahin immer wieder angedeutete Bedrohung schließlich von der Leine lässt und The Descent - Abgrund des Grauens vom Survivaltrip fließend in waschechten Horror übergeht. Mit dem Auftauchen der gollumartigen Kreaturen, welche in der Finsternis nach Menschenfleisch jagen, lässt man die buchstäbliche (Höhlen-)Hölle untertage über unsere Protagonistinnen hereinbrechen. Diese werden dann natürlich in der allgemeinen Hektik wahlweise voneinander getrennt, dienen als Menschenfutter oder aber setzen zur blutigen Gegenwehr an. Hier kommt dann auch Marshalls Vorliebe für hektoliterweise Kunstblut, welche sich von seinem Historienactioner Centurion bis hin zum diesjährigen Hellboy - Call of Darkness erstreckt, spürbar deutlich zum Tragen. Glücklicherweise greift er dabei aber nicht etwa, wie es das zappendüstere Setting durchaus hergegeben hätte, auf CGI zurück, sondern inszeniert das Ganze als herrlich altmodisches, handgemachtes Gemetzel.
Neben einigen lupenreinen Referenzen auf Klassiker wie etwa Carrie - Des Satans jüngste Tochter, leistet der Film hier schnörkellosen Blutzoll und macht keine Gefangenen. Dank dem psychologischen Unterbau zu Beginn lässt aber selbst dieser pure, rohe Exzess obendrein sogar noch Raum für gewisse Interpretationsansätze. Das Schöne ist aber, dass The Descent - Abgrund des Grauens auch theoretisch ohne diese Zusatzebene prächtig als traditionelle, äußerst rabiate Genrekost funktioniert. Andererseits beraubt man aber dadurch auch die Schlusspointe, die dem Zuschauer nochmal den soliden Höhlenboden unter den Füßen wegzieht, um einiges an Schlagkraft. Kein Wunder also, dass das auf Happy-Endings konditionierte US-Publikum dieses erst im Nachhinein serviert bekam. Angesichts der überflüssigen Fortsetzung The Descent 2 - Die Jagd geht weiter von 2009, ohne Neil Marshall und unter der Regie seines Cutters Jon Harris, ein somit in mehrerlei Hinsicht ärgerliches Zugeständnis, welches hierzulande aber keine Rolle spielt. Zum Glück.