Inhalt
Der junge Anthony Soprano wächst in einer der turbulentesten Epochen in der Geschichte von Newark auf und wird zu einem Mann, als sich rivalisierende Gangster erheben und die allmächtige DiMeo-Kriminalitätsfamilie über die zunehmend von Rassen zerrissene Stadt herausfordern. Der Onkel, den er vergöttert, Dickie Moltisanti, ist gefangen im Wandel der Zeit, der sich schwer tut, sowohl seine beruflichen als auch seine persönlichen Pflichten zu bewältigen – und inwiefern dessen Einfluss auf seinen beeindruckenden Neffen dazu beitragen wird, den Teenager zu dem allmächtigen Mafia-Boss zu machen, den wir kennen: Tony Soprano.
Kritik
Vor 14 Jahren flackerte die letzte Folge von The Sopranos über die US-amerikanischen Bildschirme und die Geschichte rund um den Mafiaboss Tony Soprano und seine titelgebende Familie fand ihr vorläufiges Ende. Nun bringen Serien-Schöpfer David Chase und Regisseur Alan Taylor den ikonischen Verbrecher zurück, indem sie mit The Many Saints of Newark die Vorgeschichte zu The Sopranos erzählen und wie der Protagonist der preisgekrönten Mafia-Serie zu dem Mann geworden ist, den das Publikum über sechs Staffeln hinweg begleitet hat. Doch im Vordergrund der Handlung steht ein anderer. Jener Mann, der wie ein Vater für den jungen Tony Soprano (Michael Gandolfini) war und dessen Familienname bereits das Schicksal seines Vaters, seines Sohnes sowie sein eigenes vorausdeutet: Richard „Dickie“ Moltisanti (Alessandro Nivola). Denn hinter jedem Sünder, steht letztendlich ein noch größerer Sünder.
Das zweistündige Gangster-Drama rückt demnach Dickie Moltisanti in den Mittelpunkt und setzt mit der Erzählung am Ende der 1960er Jahre ein. Kurz nachdem Dickes Vater Aldo (Ray Liotta) mit einer neuen Lebensgefährtin aus Italien zurückgekehrt ist, versinkt New Jersey im Chaos. Die Rassenunruhen erschüttern die Stadt und verschärfen den Konflikt zwischen den kriminellen Parteien der Afro- und Italoamerikaner. Während sich Dickie immer mehr vom Wandel der Zeit erdrückt fühlt, steigen die Spannungen in seinem Privatleben und seinen Geschäften. Zugleich wächst seine Verantwortung gegenüber seinem Neffen Tony, der im zunehmenden Alter immer stärker von dem kriminellen Milieu beeinflusst wird, das ihn umgibt. Dabei sei angemerkt, dass Dickies Sohn Christopher Moltisanti bereits in den ersten Minuten die Beziehung zwischen ihm und seinem Onkel Tony sowie einen Schlüsselmoment aus The Sopranos rekapituliert. In anderen Worten: Spoiler-Alarm.
Drum fühlt sich The Many Saints of Newark aufgrund dieser Voraussetzung umso mehr wie ein Film für Sopranos-Fans an. Zahlreiche Szenen erweisen sich als Referenzen oder Hommage an Momente der Serie und wenn im Minutentakt bekannte Gesichter – nur eben in ihren jungen Tagen – auftauchen, fühlt sich der Film wie ein altes Klassentreffen an. Die Darsteller*innen, die bereits aus der Serie bekannte Figuren verkörpern, gelingt es dabei mit einer absolut bemerkenswerten Präzision und Feinfühligkeit die jungen Versionen darzustellen sowie deren Mentalität perfekt einzufangen. Wenn sich beispielsweise Paulie „Walnuts“ Gualtiere über die Blutspritzer auf seiner neuen Jacke aufregt, könnte man glatt denken, Billy Magnussen sei der junge Tony Sirico. Vor allem die ersten Minuten fühlt sich der Film wie ein einziges Who-is-who?“ an. Als würde man durch ein altes Fotoalbum blättern und nach bekannten Gesichtern suchen.
Neben all diesen kleinen Wiedersehen ist es jedoch die Figur von Dickie, die das größte Maß an Aufmerksamkeit verdient. Denn mit Dickie haben David Chase und sein Co-Writer Lawrence Konner einen weiteren Gangster geschaffen, der sich auf grandiose Weise in die mittels der Serie skizzierte Welt einreiht und diese um einige frische Facetten bereichert. Seine Gratwanderung zwischen Gunst und Ungunst wird behutsam und trotz einiger Eskalationen meist ruhig in Szene gesetzt. Gleichzeitig spinnt The Many Saints of Newark das Intrigennetz weiter und veranschaulicht, wer wen verraten hat, noch lange bevor Tony Soprano zum wahren Mitglied der Mafiafamilie wurde. Ein mit Bedacht und fokussiertem Blick erzähltes Gangsterdrama, so wie es das Publikum von The Sopranos kennt. Kurz gesagt: Ein wunderbares Gefühl, wieder zuhause zu sein!
Fazit
Ob es diesen Film wirklich gebraucht hätte, sei dahingestellt, doch nach all den Jahren noch einmal in die kriminellen Gefilde von New Jersey abzutauchen und die alte Entourage an wilden Draufgängern, eloquenten Hitzköpfen und wenig zimperlichen Teufelskerlen in ihren jungen Tagen (wieder)zusehen, erweckt schlichtweg ein sündhaft gutes Gefühl. Zumal die explizite Einführung von Dicke Moltisanti eine wahnsinnig wertvolle Bereicherung für das Universum darstellt. „The Many Saints of Newark“ ist demnach ein Muss für jeden Sopranos-Fan.
Autor: Oliver Koch