Der einzige, waschechte Gerichtsthriller von Alfred Hitchcock führt ihn wieder zurück nach London. Allerdings nur in der Handlung. Die beginnt mit der Verhaftung der hübschen, frisch gebackenen Witwe Mrs. Paradine (Alida Valli, Suspiria), der eben jenes Dahinscheiden ihres Gatten - einem deutlich älteren, blinden und wohlhabenden Mann – zur Last gelegt wird. Doch kann diese so unschuldig wirkende Frau wirklich eine berechnende Giftmörderin sein? Das erweckt Zweifel, auch für den Strafverteidiger Anthony Keane (Gregory Peck, Wer die Nachtigall stört), der ihren Fall übernimmt. Sein Urteilsvermögen ist bald jedoch mehr als getrübt, denn der verheiratete Mann verliebt sich in seine Klientin und ist somit nun auch aus ganz persönlicher Motivation daran interessiert, ihre Unschuld zu beweisen. Und dafür wäre die Präsentation des tatsächlichen Mörders natürlich der beste Weg. Sein Verdacht fällt auf den langjährigen Bediensteten Latour (Louis Jourdan, Gigi), der jedoch nicht nur jede Schuld von sich weist, sondern Keane eindringlich vor den manipulativen Fähigkeiten seiner Mandantin warnt.
Der Dreh dieser letzten Zusammenarbeit von Hitchcock und Produzent David O. Selznick, der ihn Ende der 30er in die USA holte und seitdem für jeden seiner Filme verantwortlich war, stand von Anfang an unter keinem guten Stern, verkomplizierte sich und sorgte für Anspannungen zwischen Hitch und seinem „Ziehvater“, was letztlich zum Bruch der äußerst erfolgreichen Beziehung führte. Hitchcock ließ sich die Besetzung von Selznick praktisch aufschwatzen, obwohl er sowohl Gregory Peck, Alida Valli als auch Louis Jourdan für die Rollen nicht passend fand. Zudem überarbeitete Selznick das Script noch während des Drehs ständig und reichte dem Regisseur erst am Drehtag das Drehbuch rein, was Perfektionist und Planungsfetischist Hitchcock natürlich wahnsinnig machte. Die Konsequenz: Der Dreh dauerte ungewöhnlich lange und die Produktion verschlang drei Millionen Dollar, für damalige Verhältnisse und das eigentlich angedachte Budget ein ordentlicher Batzen. Dies wiederum verärgerte Selznick. Es kam zu gegenseitigen Vorwürfen und damit hatte sich die Partnerschaft erledigt. Letzten Endes kann man Selznick als Verlierer des Ganzen ansehen, drehte Hitchcock danach doch den Großteil seiner besten Filme.
Was man Hitchcock absolut zugutehalten muss: Dem fertigen Film merkt man diese Querelen und Zwangskompromisse kaum an. Die nicht-präferierten Darsteller mögen aus der Sicht des Regisseurs nicht typgerecht sein, ihre Leistungen lassen sich jedoch kaum bemängeln. Und Hitchcock selbst ist längst auf einem handwerklichen Niveau angekommen, das einerseits auch schwächere Geschichten auffangen kann, andererseits aber manchmal auch erst die Diskrepanz zwischen Umsetzung und Drehbuch noch deutlicher hervorhebt. Bei Der Fall Paradin ist es gar nicht mal die Geschichte, denn diese passt prima in den Hitchcock/Selznick-Zyklus, der sich häufig mit der Mischung aus Thriller und Romanze beschäftigte (Rebecca, Verdacht, Ich kämpfe um dich, Berüchtigt) und beinhaltet tragische, psychologisch durchdachte und – ohne zu moralisieren – auch mahnende Komponenten. Das Script ist nicht ideal und das besonders bezogen auf die Art und Weise, wie Hitchcock sonst arbeitete. Sehr Dialog-lastig, fast schon geschwätzig kann nicht das gewohnte, narrative Tempo entwickelt werden, da die Szenen es auch überhaupt nicht hergeben. Die ursprüngliche, inzwischen zerstörte Fassung umfasste gar drei Stunden. Das ist nicht schlecht per se, schwächt aber eine essentielle Stärke seines Regisseurs bzw. verhindert, dass er auf sie zurückgreifen kann.
Interessant bleibt Der Fall Paradin aber bis zum Ende ohne Frage und baut auch ohne die Hitchcock-typischen Suspense-Momente gekonnt- wenn auch langsamer als gewohnt – kontinuierlich Spannung auf, bis zum gelungenen, weil auch angenehm unspektakulären, aber besonders rückwirkend betrachtet sehr klug konzipierten Finale. Das viel über den Verlust der Objektivität aussagt, wenn ungeplant Emotionen ins Spiel kommen und wie wichtig es ist, gerade auf beruflicher Ebene sich immer eine gewisse Professionalität zu bewahren. Egal, wie schwierig das mitunter sein kann. Technisch ist der Film ohnehin schlicht und ergreifend hervorragend. Mit ganz wunderbaren, kreativen und teils sehr aufwändigen Einstellungen (die Kamerafahrt um Alida Valli, wenn Louis Jourdan den Gerichtsaal betritt, die nicht nur toll aussieht, sondern auch einen narrativen Zweck verfolgt, Weltklasse!). Und wer ist darstellerisch mal wieder der Obermacker? Na klar, Charles Laughton (Die Taverne von Jamaika), der als bärbeißige, selbstgerechte, zynische, mitunter gar als lüstern-misogyn dargestellte Bulldogge von einem Richter mal wieder ein absoluter Hauptgewinn ist.