6.4

MB-Kritik

Die Farben der Nacht 1972

Horror, Thriller, Foreign – Italy, Spain

6.4

George Hilton
Edwige Fenech
Ivan Rassimov
Julián Ugarte
George Rigaud
Maria Cumani Quasimodo
Nieves Navarro
Marina Malfatti
Luciano Pigozzi
Dominique Boschero
Lisa Leonardi
Renato Chiantoni
Tom Felleghy
Vera Drudi
Carla Mancini
Gianni Pulone

Inhalt

Seit einem Unfall, bei dem sie ihr ungeborenes Baby verlor, leidet Jane an heftigen Albträumen, in denen sie von einem Mann mit einem Stilett attackiert wird. Ihr Verlobter Richard behandelt sie auf eigene Verantwortung mit verschreibungspflichtigen Medikamente, ihre Schwester Barbara schickt sie in psychologische Behandlung, doch nichts scheint zu helfen. Im Gegenteil, der Fremde lauert ihr nun auch in der Realität auf…zumindest glaubt Jane dies. Verzweifelt lässt sie sich von ihrer neuen Nachbarin Mary zu einer schwarzen Messe mitnehmen, die sie von ihren Ängsten befreien soll. Mit fatalen Folgen…

Kritik

Die Ruhe vor dem Sturm, so erscheint die für einen Giallo untypisch langsame, stille Eröffnungssequenz. Keine Musik, nichts das kleinste Geräusch ist zu hören, während unspektakulär die Opening Credits vor der starren Montage mit Blick auf einen See ablaufen, der langsam in der Abenddämmerung verschwindet. Die Farben der Nacht verschlucken die trügerische Idylle, die nun Platz für den Wahnsinn macht. Die folgende Sequenz ist ein surrealer Alptraum, untermalt von Bruno Nicolai’s verstörenden Score, in dem eine wahnsinnig dreinblickender Mann (Ivan Rassimov, Mondo Cannibale) eine Frau mit seiner phallischen Klinge ersticht. Willkommen im Giallo und bei Sergio Martino (Die Säge des Teufels), der mit sich seinem erprobten und gerne immer wieder verwendeten Ensemble diesmal jedoch an einem etwas anderen Ansatz versucht als dem sonstigen Whodunit-Killer-Film.

Die junge Schönheit Jane (Porzellan-Gesicht Edwige Fenech, Der Killer von Wien, …wer sonst?) wird gepeinigt von diesen grauenhaften Vision und beginnt bereits, an ihrem Verstand zu zweifeln. Ihr angehender Gatte (George Hilton, Der schöne Körper der Deborah, …wer sonst2?), ein Pharmazie-Vertreter, doktort fürsorglich und nur geringfügig bevormundend mit dem Warensortiment an ihr herum (natürlich nur „Vitamine“, na klar), ihre Schwester hingegen hält psychologische Betreuung – gegen seinen Willen – für sinnvoller. Da Jane grundsätzlich immer das macht, was andere von ihr verlangen und für jede noch so absurde Schnapsidee dankbar zu haben ist, lässt sie sich als letzten Ausweg dann sogar von ihrer neuen Nachbarin und ad hoc besten Freundin gar zu einer schwarzen Messe mitschleppen, da werden sie geholfen. Frisch gezapftes Welpenblut und Rudel-Heavy-Petting mit gruseligen Satanisten macht den Kopf frei und die Seele heil, wer würde daran zweifeln?

Wer nun denkt „Was für ein ausgemachter Schwachsinn ist das denn bitte?“ und mit Gialli noch keine größeren Berührungspunkte hatte, sollte diesen Film vielleicht auch besser meiden. Dass das Genre nicht gerade für die sinnvollsten Handlungen und besondere Akribie beim darstellerischen Feintuning berühmt ist, sollte in Kauf genommen werden. Auch unter den Aspekten wirkt manch ein Moment leicht cheasy, dass Edwige Fenech es in ihrer Karriere nur zur freizügigen Giallo-Queen und Soft-Fummel-Häschen schafft verwundert aufgrund ihres Talents nicht unbedingt. Wen das nicht zwingend abschreckt, bekommt dafür einen formell hervorragend vorgetragenen und inhaltlich durchaus abwechslungsreichen Genre-Beitrag, der nicht das klassische Muster vom unbekannten Serien-Schlitzer auffährt. Eher eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, gestalkt, dem Wahnsinn nah, die dann auch noch mit okkultem Hokuspokus tyrannisiert wird. Eine Art Giallo-Fassung von Polanski’s MeisterwerkRosemaries Baby (natürlich nur in Anlehnung und in einer ganz anderen Liga spielend), das hier überdeutlich Pate stand, ebenso wie selbstverständlich die Arbeiten von Mario Bava (Blutige Seide) und Dario Argento (Vier Fliegen auf grauem Samt).

Wie bei den meisten seiner Filme dürfte Sergio Martino sich bei starken Verfechter(inne)n der Emanzipation wenige Freunde machen. Seine Protagonistin zieht nicht nur gerne blank, sie taumelt als unselbstständiges, schwaches und im höchsten Grade naives Rehauge verängstigt und hilflos durch die Gegend, was allerdings in Bezug auf die Handlung nicht völlig sinnlos und (nur) als frauenfeindlich oder zumindest wenig wertschätzend zu betrachten ist. Dass es sich bei June um ein besonders leicht zu manipulierendes, gutgläubiges Exemplar ihrer Gattung handelt, ist essenziell wichtig für die Geschichte, die Verdachtsmomente und wird ja sogar direkt von den anderen Figuren so verbalisiert, was sie umso zwielichtiger und potenziell nicht vertrauenswürdig erscheinen lässt. George Hilton somit wieder in seiner Paraderolle des Typen, dem man bis zum Schluss nie so richtig über den Weg traut, nicht einschätzen kann und Ivan Rassimov starrt mit seinen stahlblauen, eiskalten Psycho-Augen alles in Grund und Boden. Diesen Umstand, wie das Spiel mit einer möglichen Psychose, einer perfiden Intrige oder gar übernatürlichen Kräften, versteht Martino geschickt zu nutzen, entwickelt daraus effektiven Suspense.

Inszenatorisch ist das alles ohnehin ein echter Reißer im Genre, der mit einem einprägsamen Score und besonders exzellent arrangierten Momenten um die Ecke kommt, mit denen Martino sich seinen Platz unter den wichtigsten Giallo-Regisseuren redlich verdient. Allein die Szene in der U-Bahn oder später in June’s Wohnung hätten man kaum besser umsetzen können, rein von Ästhetik und Wirkung. Damit überspielt Martino problemlos diversen Stuss im Plot, der trotzdem am Ende irgendwie funktionieren mag, wenn man sich darauf einlässt.

Fazit

Kein besonders blutiger oder immer richtig ernstzunehmender Giallo (das sollte auch niemand wirklich voraussetzen), kein Meisterstück des Genres, aber ein richtig interessanter Beitrag, um den Fans kaum herumkommen. Interessierte Neulinge greifen vielleicht lieber zu etwas „seriöseren“ Werken (vereinzelt gibt es die schon) und wagen sich dann hier ran. Kann dem Genuss nur förderlich sein.  

Autor: Jacko Kunze
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