Der französische Kriminalfilm hat in seiner Geschichte zahlreiche Perlen des Genres hervorgebracht, insbesondere wenn es nicht nur um den reinen Thriller-Plot ging, sondern die Psychologie der Figuren eine gewichte Rolle einnahm. Man denke nur z.B. an die Filme von Jean-Pierre Melville (Der eiskalte Engel) oder Henri Verneuil (Lautlos wie die Nacht). Regisseur und Autor Michel Vianey (Zwei Profis steigen aus) geht bei Ein Mörder geht vorbei dabei sogar noch einen Schritt weiter und stellt die Spannung bei der Jagd nach einem Frauenmörder sehr bewusst in die zweite Reihe. Ihm ist es noch deutlicher daran gelegen, das emotionale Innenleben seiner Figuren offenzulegen und sich auf das Fernduell zweier Männer zu konzentrieren, die sich erst im Showdown für wenige Sekunden gegenüberstehen werden. Das klingt höchstinteressant, verkommt leider aufgrund eines miserablen Drehbuchs zu einer Ansammlung von Unzulänglichkeiten.
Jacques (auf jeden Fall bemüht: Richard Berry, 22 Bullets) ist ein Frauenmörder. Ein einsamer, eingeschüchterter Sonderling, der sich vom schönen Geschlecht übersehen und belächelt fühlt. Grund genug, um bereits mehrere von ihnen, mehr oder weniger willkürlich ausgewählt, erstochen zu haben (bemerkenswert dabei: nach nur einem Messerstich sind diese immer sofort tot. Beeindruckend). Bis er sich ernsthaft in Tänzerin Pauline (Carole Laure, Lohn der Giganten) verguckt. Dieser überfällt er in ihrer Wohnung, ist diesmal jedoch maskiert. Da er nicht vorhat, sie umzubringen. Noch nicht. Stattdessen zwingt er sie nur dazu, sich auszuziehen und für einige Minuten neben ihn zu legen. Danach verschwindet er. Natürlich meldet Pauline den Vorfall umgehend bei der Polizei und der einsilbige, hartgesottene Inspektor Revic (Jean-Louis Trintignant, Leichen pflastern seinen Weg) übernimmt die Ermittlungen. Bis dahin sieht das alles noch relativ vielversprechend aus, ungefähr ab dann nimmt der Unsinn aber seinen Lauf.
Denn wie sein Widersacher verliebt sich auch Revic in die schöne Pauline. Stellt sich dabei aber auch nicht sonderlich geschickt an, da auch er mit Frauen nicht gut umgehen kann und ein ähnlich verunsicherter, einsamer Vogel ist wie Jacques. Dass er deshalb aber auch dessen Verhaltens- und Vorgehensweisen vorherahnt, sollte einem allerdings zu denken geben. Als wenn jeder Glücklose auf dem Singlemarkt automatisch sich in die Situation eines psychotischen Stalkers und Mörders versetzen könnte. Das Drehbuch möchte wohl implizieren, dass die beiden Männer aufgrund ihres ähnlichen Schicksals sowas wie Brüder im Geiste sind, was es nicht unbedingt weniger unangenehm und dusselig macht. So was könnte man auch besser machen, in dem man den Männern noch etwas mehr Profil verleiht, außer dass sie nicht mit Frauen umgehen können. Aber ihre Figurenzeichnung ist so karg und oberflächlich, dass man von der angepeilten Charakterstudie meilenweit entfernt ist. Immerhin ist Gleichberechtigung hier schon Trumpf und auch die gute Pauline kommt in ihrer Skizzierung kein Stück besser weg. Das ist sogar fast noch schlimmer.
Diese schüttelt den Überfall in den eigenen vier Wänden, inklusive sexueller Demütigung mit vorgehaltener Waffe und Beinah-Vergewaltigung, relativ unbeschwert ab. Das spart eine Menge Geld für den Therapeuten und ist ein wunderbares Beispiel für alle Frauen, die Opfer von Gewaltverbrechen wurden. Die sollen sich mal nicht so anstellen und sich einfach mal darüber freuen, wenn eben jenes Ferkel einem im Anschluss auch noch Blumen vor die Haustür legt. Die sind doch schön und was könne schließlich die Blumen dafür? Es ist schier unfassbar, was der Film einem hier auftischt. Pauline muss sich den rumpeligen Flirtversuchen ihres Beschützers erwehren und ist davon auch nicht mehr belastet als von der Tatsache, dass sie vermutlich das Love-Interest eines mehrfachen Frauenmörders ist.
Dazu kommen auch noch diese unglaublich gestelzten Dialoge, die ab und zu schon lächerliche Züge annehmen. Kein Mensch redet so, nicht mal in den billigsten Groschenromanen. Das ist hoffentlich ein Übersetzungsproblem, denn der auch als Romanautor tätige Michel Vianey sollte zumindest das eigentlich besser beherrschen. Wie schon angesprochen versucht Richard Berry wenigstens, seine Figur durch sein Spiel mit Leben und so was wie Glaubwürdigkeit zu füllen, aber da keine der Personen hier irgendwie authentisch agiert, ist auch das Perlen vor die Säue. Er darf immerhin den Psychopathen mimen, da muss nicht alles Sinn ergeben. Ziemlich verdattert guckt hingegen der an sich immer souveräne Jean-Louis Trintignant aus der Wäsche, der oftmals so teilnahmslos wirkt, als wenn er das Drehbuch selbst nicht verstanden hätte. Das ist so ziemlich das Nachvollziehbarste am gesamten Film. Bis zum Schluss hofft man aufgrund der per se reizvollen Idee und den an sich guten Darstellern, dass das alle nur ein großes Missverständnis ist und der Film am Ende noch irgendwie die Kurve bekommt, um zumindest halbwegs akzeptabel zu werden. Und dann war es auf einmal vorbei. Wohl besser so.