Alle Jahre wieder, sobald Paul Thomas Anderson (The Master) ankündigt, einen neuen Film zu drehen, leckt das geneigte Publikum weltweit alle Finger, die es hat. Dran verschlucken tut es sich, sobald Method Acting-Gott Daniel Day-Lewis (There Will Be Blood, auch von PTA) mit von der Partie ist. Wenn dieser weltbekannte Schauspieler, der nur alle paar Jahre mal eine Rolle spielt, dann auch noch ankündigt, mit Der seidene Faden in seinem letzten Film mitzuspielen; dann hat man alle Zutaten für eine Sensation beisammen. Der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und hier auch teils Kameramann Anderson wurde für seinen neusten Film von dem spanischen Vater der Haute CoutureCristobal Balenciaga inspiriert, der einer berühmt-notorischen Perfektion hinterherjagte.
„Wieso bist du nicht verheiratet?“
„… Ich mach Kleider.“
Manches ist anders, im Staate Dänemark. Andersons letzter Film, das 70er Jahre Star-Vehikel Inherent Vice, das mit ordentlich Tamtam im Trailer auffuhr und mit dem dargebotenen Humor eigentlich Material für ein Massenpublikum sein sollte, wird hier kontrastiert. Mit Der seidene Faden findet Anderson eher wieder zurück zu seinem stillen Liebesfilm Punch-Drunk Love, nur mit spärlicher gesäter Star-Power. Der Film reist in ein Nachkriegs-England, indem Reynolds Woodcock (Anderson behauptet in einem Interview, Day-Lewis habe sich den Namen ausgedacht) Kleider für die weibliche Elite der europäischen Gesellschaft entwirft. Sein Name bedeutet etwas, sein Handwerk bedeutet etwas. Vor allem ihm selbst. Er ist ein Künstler, ebenso notorisch wie Balenciaga, ebenso perfektionistisch wie Daniel Day-Lewis. Ein Künstler, der erst zufrieden mit seinen Werken ist, wenn es die Existenz aller anderen vorigen Kleider vergessen macht. Erst zufrieden, wenn das neue Kleid wie das erste Kleid der Geschichte wirkt.
Woodcock ist ein Mann, der sein ganzes Leben seiner Passion, seiner Arbeit widmet. Im zarten Alter von sechzehn Jahren angefangen, wird er erst aufhören zu arbeiten, wenn er aufhört zu atmen. Seine Kleider sind ihm wichtiger, als alles. Kundinnen, die sich nicht würdevoll verhalten, müssen seine Werke wieder zurückgeben. Der Name Woodcock steht für Besseres. Es liegt wohl in Daniel Day-Lewis’ alleiniger Macht, Woodcocks Weltsicht derart greifbar zu machen. Der Modeschöpfer ist an den Frauen in seinem Leben bloß interessiert, solange sie seine Kleider tragen und ihn verdammt nochmal nicht beim Arbeiten stören. Wer nicht akzeptieren kann, die zweite Geige zu spielen, der wird vergessen. Aufbrausend wird der Mann, wenn er nicht in Ruhe seine Skizzen anfertigen kann, wenn sein endloser Schaffensprozess gestört wird - und sei es aus guten Motiven. Woodcock, der hölzerne Hahn. Stolz(ierend) krähend. Woodcock, die sexuelle, unerbittliche Macht des Mannes. Zumindest bis der Schnupfen kommt.
Die Obsession ist das große Thema des Films. Eines, das sich mühelos auf jegliche andere Profession, vor allem die der Künste, übertragen lässt. So erzählt Anderson mit Sicherheit auch über sein eigenes Leben, seine Ambition, den Frust der enttäuschten Erwartung. Den Leistungsdruck und die fehlende Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Wer einer großen Lebensaufgabe nachstrebt und gleichzeitig eine Liebesbeziehung am Laufen hält, der wird wissen, dass sich diese Dinge oft genug vergiften wollen. Die eigene Obsession kann dabei kompromittierend wirken, aber eigentlich nie für einen selbst gefährlichen werden. Die der anderen hingegen schon. Ironischerweise ist es der Zeitpunkt, der beide zusammenbringt, an dem auch Woodcocks Muse Alma (Vicky Krieps, A Most Wanted Man) ihre Obsession entwickelt. Über zwei Stunden hinweg sieht man Reynolds und Alma tänzeln und schubsen. Kämpfen und schreien. Heulen und kotzen.
PTA, ein Akronym als Zeichen der Ehrerweisung, gelingt es gewissermaßen, sich simultan neu zu erfinden und auf alte bewährte Muster zu vertrauen. Der Film schlägt nirgends über die Stränge, scheint sich mit kleineren Maßstäben zufrieden zu geben. Sicherlich auch aus dem Grunde, dass dieses Werk eines ist, das tief aus dem Inneren des Filmemachers selbst kommt. Anderson, der in Interviews stets schüchtern und bescheiden daherkommt, offenbart sich und sein Leben selbst und möchte dies eben nicht an die große Glocke hängen. In dieser Bescheidenheit steckt die große Schönheit des Films, da sie ermöglicht, dass ein Narzisst wie Woodcock in liebevollen Bildern eingerahmt wird. Und diese Bescheidenheit ist es, die einen sehr dynamischen Kontrast zum Inhalt des Filmes bietet, der quasi das Machtgeplänkel zwischen Eli und Daniel Plainview aus There Will Be Blood zum Hauptthema des Films macht, es auf andere Figuren ummünzt und dann mit breitem Grinsen beobachtet. Ein Genuss, nicht zuletzt für das Publikum.