Die Geschichte von Machtmissbrauch und Manipulation, die Helen Simons filmisches Traktat teils gezielt, teils unbewusst erzählt, hat zwei Facetten, die einander auf beklemmende Weise spiegeln und ergänzen. Zum Einen sind da die unscharf skizzierten Netzwerke sexueller Ausbeutung, auf deren beängstigender Aura das fragwürdige Filmprojekt seinen Nimbus aufbaut. Zum anderen ist da die intransparente, irreführende Inszenierung. Deren politische Agenda und filmischer Fokus decken sich kaum mit der offiziellen Synopsis. Die verspricht eine Doku über moderne Sklaverei.
Deren größter Anteil sind ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, etwa auf dem Bau, in Minen oder Fabriken. Ein weiterer entscheidender Faktor ist staatlich erzwungene Arbeit. Beide Segmente zusammen machen über 80 Prozent der modernen Sklaverei aus. Doch die 81 Prozent beachtet die Regisseurin nicht und erst Recht nicht die männlichen Opfer, deren Anteil 29 Prozent beträgt. Wer all das wissen will, muss es selber recherchieren, denn keine der erwähnten Zahlen oder überhaupt Hintergrundinformationen finden in der Doku Erwähnung.
Ob das Zufall ist oder nicht vielmehr Absicht, bleibt fraglich, denn das Kernthema ist nicht Menschenhandel, sondern ein völlig anderes: Sexarbeit. Sie wird gezielt mit Missbrauch und Zwangsarbeit gleichgesetzt, wobei Vorurteile bedient und gängige Fehlannahmen bestärkt werden. In der Machart erinnert das Ganze unangenehm an Elke Lehrenkrauss’ Lovemobil. Besagte Produktion präsentierte sich als Dokumentation über den von Gewalt und Elend geprägten Berufsalltag zweier Sexarbeiterinnen aus Bulgarien und Nigeria in einem Wohnmobil in der deutschen Provinz.
Dafür gab es unter anderem den Deutschen Dokumentarfilmpreis und eine Nominierung für den Grimme-Preis. Mit Zweitem wurde es allerdings nichts, als sich die Schauspielerinnen zu Wort meldeten, die in der fiktiven Story mitgewirkt hatten und nie informiert wurden, dass ihre Darstellungen als authentische Erlebnisse ausgegeben werden würden. Der Fall zeigt nicht nur anschaulich, wie weit die Anti-Sexarbeit-Lobby geht, um das Gewerbe zu diffamieren, sondern wie bereitwillig Kritik und Publikum solchen Unterfangen applaudieren.
Hier heißt es nun, die Regisseurin habe sieben Jahre weltweit Menschenhandel recherchiert, sprach mit unzähligen Opfern, denen sie erstmals Gehör verschaffe, und begleite zwei jungen Menschen beim „Kampf um eine längst überfällige Veränderung“. Diese besagte Veränderung ist offenbar eine verschärfte Kriminalisierung von Sexarbeit, welche die ebenso unilaterale wie undifferenzierte Inszenierung ausschließlich aus dem Blickwinkel zweier bekannter Abolutionistinnen darstellt. Weder sind sie jung, noch sind ihre Geschichten ungehört und sie aufzuspüren braucht eine kurze Google-Suche.
Die vor laufender Kamera hochgelobte Autorin Grizelda Grootboom wurde von Bekannten einer Freundin missbraucht und geriet danach in Drogenprostitution. Die unter Pseudonym agieren Aktivistin „Sandra Norak“, die im Film für eine christliche Organisation spricht und in klerikalen Foren publiziert, verfiel einem sogenannten Lover Boy. Mit Menschenhandel haben beide Darstellungen nichts zu tun. Trotzdem lauscht die Regisseurin insbesondere der vor einer brennenden Tonne platzierten „Norak“. Ihre Stories erschienen nebenbei in der islamophoben, transphobenSWERF-Lektüre Emma.
Deren fake-feministisches Weltbild propagiert das höchst suspekte Traktat, welches das Schlagwort „Menschenhandel“ lediglich zur Stigmatisierung von Sexwork missbraucht. Nicht klar gekennzeichnete gestellte Szenen, zusammenhanglose Aufnahmen von Hotels und Obdachlosenunterkünften sowie der gezielte Verzicht auf überprüfbare Studien und gesellschaftspolitischen Kontext schaffen ein subjektives Zerrbild. Dass ein Film seinen tatsächlichen Themenschwerpunkt verschleiert, wirkt per se schon unseriös. Wenn dann noch selektive Ausschnitte und unverifizierbare subjektive Aussagen eine transparente Berichterstattung ersetzen, ist der letzte Rest Glaubwürdigkeit dahin.