Gut und Böse sind im Film Noir zwei Seiten einer Medaille namens Gesellschaft. Sie sind zwei Masken, die sich die gleiche Figur abwechselnd aufsetzen kann, bis nicht einmal sie selbst weiß, wie das wahre Gesicht dahinter aussieht. Die psychologische Ambivalenz der Protagonisten und ihres Milieus machte besonders für das Publikum der ersten Stunde den Reiz der düsteren Filmreihe aus. Doch auch im moralischen Schattenreich gibt es Figuren, die so verschlagen, kaltblütig und sadistisch sind, wie sonst höchstens unsere lieben Mitmenschen in der Realität. Die Bemerkenswertesten stellen wir hier vor.
Die Tragischste unter den Bösewichten dieser Liste ist Norma Desmond, für deren Part Stummfilmlegende Gloria Swanson auf die Leinwand zurückkehrte. Die Theatralik, die ihren Übergang von Wahn zu Wahnsinn illustrieren, sind eine glänzende Referenz an die Verwurzelung derSchwarzen Serie im Expressionismus, der wiederum in der Schwarzen Romantik fusst. Das Lachen bleibt selbst dem abgebrühtesten Zuschauer schließlich im Halse stecken.
Kirk Douglas hat sich als Held ins Gedächtnis der Kinozuschauer eingeprägt, dabei waren einige seiner eindringlichsten Rollen alles andere als edle Gemüter. Das beste Beispieldafür ist sein Auftritt als Reporter Chuck Tatum, der aus einem lebensbedrohlichen Unglück eine reißerische Story herausschlagen will. Die Strafe, die den arroganten Protagonisten gemäß des Diktats der Zensur ereilt, ist genauso eine Farce wie dessen selbstmitleidige Reuebekundungen.
Hedy Lamarr war jenseits der Leinwand bekanntlich noch genialer als darauf. Das heißt nicht, dass ihre mit bitterböser Komik durchtränkte Rolle nicht brillant wäre. Kleinstadtmädchen Jenny Hager hat als Kind schon den Hang zu mörderischen Aktionen und wird als Erwachsene im Ausführen ihrer diabolischen Pläne nur besser. Und besser bedeutet hier: böser.
Jeder kennt Cody Jarret, der seine manische Kriminalität buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen hat. Bedrohlicher als der fiese Gangstertyp, der ähnlich in vielen Filmen der Ära auftritt, ist die Frau seines Lebens: Ma Jarret. Margaret Wycherly spielt die von Elvira Bender und Ma Barker inspirierte alte Lady mit einer kontrollierenden Fürsorge, die ihren Sohn bis zuletzt motiviert: „Top of the World, Ma!“
Die größten Verbrecher sind die mit den teuersten Anzügen, zu denen immer eine weiße Weste gehört. Ein Paradebeispiel für den Schlag des korrupten Erfolgstypen ist J. J. Hunsecker. Der Zeitungstycoon betrachtet jeden in seinen weitläufigen Kreisen als Futter für sein unersättliches Ego. Noch perfider als die Intrigen ist das subtil angedeutete Verhältnis, in dem er seine Schwester festhalten will.
Mr. Brown ist ebenso einschüchternd als unangreifbarer Geschäftsmann wie als sadistischer Unterweltboss. Furchterregender als seine genüssliche Brutalität ist die perverse psychische Kontrolle, die er über alle ihm Menschen in seinem persönlichen Umfeld ausübt.
Kathie Moffat besitzt neben allen definierenden Eigenschaften einer Femme fatale einen Wesenszug, der sie von ihren kanonischen Kolleginnen abhebt: Sie liebt nichts und niemanden, am wenigsten ihren selbstgerechter Detective-Lover. Richard Mitchums Loser kommt der Wahrheit am nächsten, als er ihr sagt: „Wir verdienen einander“. Kathie ist das Spiegelbild seines Egoismus, das ihn tödlich trifft. Dahin, wo's wehtut.
Mit jungenhaftem Lächeln und nonchalantem Charme ist Orson Welles schurkischer Harry Lime die Quintessenz des Verbrechers, von dem es niemand gedacht hätte – selbst sein alter Freund nicht. Seine Riesenrad-Rede ist zeitlos in ihrer Gewissenlosigkeit: „Nobody thinks in terms of human beings. Governments don't. Why should we? They talk about the people and the proletariat, I talk about the suckers and the mugs - it's the same thing.“
Priester und Pastoren sind schon gruselig genug, aber Robert Mitchums Harry Powell ist wohl das abstoßendste Exemplar der Leinwand. Charles Laughtons einzige Regiearbeit lässt sich als packender Thriller über einen Mörder, der zwei Kinder verfolgt, sehen –oder als düstere Fabel über die heuchlerische Doktrin organisierter Religion.
Eine alte Frau die Treppe runterschubsen ist böse. Eine alte Frau im Rollstuhl die Treppe runterschubsen ist böser. Eine alte Frau im Rollstuhl die Treppe runterschubsen und dabei schallend lachen, das ist Tommy Udo. Richard Widmark als Killer mit irrem Grinsen ist tatsächlich der einzige Grund, sich den mittelmäßigen Noir Krimi anzusehen, aber dafür ein verdammt Guter!