Ist „Pulp Fiction“ ein besonderer Film?
Es gibt wohl keinen anderen Film, der so häufig auf cineastischen Bestenlisten auftaucht wie Tarantinos kultisch verehrter zweiter Spielfilm. „Pulp Fiction“ kam gewaltig, suchte sich einen schönen Thron in der Popkultur und sah von dort aus zu, wie diverse Epigone mal erfolgreich („Bube, Dame, König GrAs“, „Bang Boom Bang“) mal mehr schlecht als recht („Thursday“, „Kaliber Deluxe“) versuchten sich als Kultfilm ähnlicher Couleur zu profilieren. Vom Thron gestoßen wurde er bis heute nicht und so ziemlich alle Angriffe auf seinen Herrschersitz gingen, ohne größere Blessuren hinterlassen zu haben, an ihm vorbei.
Damals wie heute ist der pulp‘sche Bekanntheitsgrad immens hoch. Wenn selbst ein 12-jähriger in der Videothek nach „Pulp Fiction“ statt nach „Avatar“ oder „Harry Potter“ fragt, ist das durchaus ein Zeichen von hoher, stetiger Popularität. Macht das „Pulp Fiction“ zu einem besonderen Film?
„Pulp Fiction“ ist ein, mal nonchalantes und mal drastisches, Vergnügen. Wunderbare, oft genug sinn- und ziellose Diskussionen werden genauso treffsicher abgefeuert wie überspitzte Gewalteruptionen, leichtfüßige Ikonisierungen, die richtige Dosis Vulgarität und teils perfide Situationskomik. Daraus entstehen umwerfend komponierte Szenen, jede für sich bereits mit einem enorm hohen Unterhaltungswert ausgestattet, alle zusammen genommen sind schlicht unschlagbar. Man nehme nur die legendäre Tanzszene. Kein anderer Filmtanz wurde so oft imitiert und nachgeäfft. Selbst die großen 80er Jahre Tanzklassiker „Flashdance“ und „Dirty Dancing“ wurde nicht so zahlreich rezitiert wie die gespreizten Finger von John Travolta und Uma Thurman. Mittlerweile ist eine „Pulp Fiction“-Parodie ein Zeugnis für Kreativ- und Mutlosigkeit.
Neben den bereits genannten Darstellern kann Tarantino auf weitere erstklassige Akteure zurück greifen. Einige spielen hier die Rolle ihres Lebens (Ving Rhames), andere starteten danach durch (Samuel L. Jackson) und wieder andere bewiesen, dass sie mehr können als die Annahme zu erfüllen immer wieder langsam zu sterben.
Bei seiner Rollenverteilung spielt „Pulp Fiction“ mit den Erwartungen des Zuschauers, wie bei vielen anderen Dingen auch. So verbirgt sich hinter dem Amoralischen der Figuren und Geschichten letztlich doch eine ziemlich konventionelle, puritanische Botschaft: Jeder bekommt das, was er verdient. Das klingt jetzt biederer als es in Wirklichkeit ist, denn egal was im Film passiert, es wirkt immer lebendig, frech und frei. Ist das besonders?
Tarantino und seine Co-Autor Roger Avary („Killing Zoe“, „Die Regeln des Spiels“) nutzen ein Maximum von stereotypen, uramerikanischen Figuren und plündern ordentliche im Fundus anderer Filme. Doch anstatt Figuren und Fundsachen durch genormte Ereignisse und Dialoge zu scheuchen zelebriert „Pulp Fiction“ die Destruktion des Gewöhnlichen. Gangster reden hier auch mal über Fast Food und nicht bloß über Geld und Drogen. Diese Kombination aus anscheinend nicht zusammenpassendem Material ergibt eine Fülle von grandios-komischen Szenen, die dazu virtuos miteinander montiert wurden. So besonders ist es zwar nicht, dafür aber umso besser.
Dass dieses Format auch nach über zwei Stunden noch funktioniert und nicht verschleißt, liegt nicht nur am Humor, sondern gewiss auch am Episoden-Puzzle-Konzept des Films, indem während der gesamten 154 Minuten eine Vielzahl von exquisiten Höhepunkten serviert werden. Eine wahre Klimax-Parade. „Pulp Fiction“ zum ersten Mal ansehen hat etwas von einer großen, prallgefüllten Wundertüte für Erwachsene. Der geniale Soundtrack - auch heute noch unübertrefflich: „Miserlou“ von Dick Dale & his Del Tones(warum konnten diese Black Eyed Peas davon nicht ihre schmierigen Pfoten lassen) - tut sein übriges dazu.
Quentin Tarantino, dessen Name auf Plakaten und in den Credits ausreicht um Aufmerksamkeit und höhere Gewinne zu erzeugen, hat mit „Pulp Fiction“ nichts weiter als einen Meilenstein geschaffen. Ein Film, der von anderen Filmen kopiert und gleichzeitig so eigen ist, dass man ihn selbst nur schwer nachahmen und beschreiben kann. Eine Revue aus Klischees, Stilmitteln, Erwartungen, Überraschungen, großen und kleinen Details und das macht – natürlich- einfach eine Menge Spaß, auch bei der 100. Sichtung. Da ist es doch völlig egal, ob der Film wirklich besonders ist.